„Auch sie (die Bitterkeit) zeigt eine Art verlorener Unschuld an.“
Ernst Jünger
Der unglückselige Kurt Cobain, dessen Todestag sich nunmehr zum zwanzigsten Male jährt, zählt unstrittig zum Kreis derjenigen Persönlichkeiten musischer Provenienz, die bereits Zeit ihres kurzen, schnellen Lebens zur Legende mutierten; eine, der sie auf je eigene Art und Weise schließlich erlagen. Im Anfang trägt diese Individuen noch die schiere, unbändige Kraft, doch bald wendet sich das Blatt, verfliegt der Überschwang und immer spürbarer trägt die Desillusionierung zur Ermattung bei, die den Heißsporn schleichend hemmt, und in Schüben versackt, ja stürzt dieser endlich in sich ein, krepiert kläglich: die anfängliche Energie schlägt in ihr Gegenteil und richtet das Wesen unfehlbar zugrunde. Das jähe Scheitern nach abrupter, unwiderstehlich scheinender Entfaltung eint diese gefallenen Engel, deren unvergleichlicher Flügelschlag der modernen Unterhaltungsbranche stets neuen Wind einhauchte. Jenseits der Kunst, die solche Menschen schufen und damit unverhofft und unvermittelt einer breiten Allgemeinheit zur Verfügung stellten, steht die Einzigartigkeit der Persönlichkeit, die das ganze Werk konstituiert, untrennbar verbunden mit dem Schöpfer selbst, und es kann fast als unausweichlich gelten, das diese Ausnahmeerscheinungen im modernen Medienzirkus scheitern: schier platzend vor Kraft, laugt sie der bloße ´Betrieb´, das Geschäft der Branche, ihr begleitendes Nivellement endgültig aus. Sensible Künstlernaturen, die es zur rechten Zeit ins grelle Rampenlicht schlägt, zerbrechen weniger an sich selbst; mehr an den wuchtig ausufernden Wellenschlägen, die der wild peitschende Sturm, von ihnen selbst entfacht, an die eigenen Gestade zurückdrängt. Das Showbiz bietet keinen Schutz, keine Fluchtmöglichkeiten, kein Heil: nur schnöden, schnellen Exzess, der jenseits der Verpflichtungen vernichtet. So ist es noch allen ergangen, die in kindlicher Naivität aus der ´Sehnsuchtvollen Leere´ (Byron) bis zur Neige schöpften. Der sogenannte Club 27 zählt derlei scheiternde, strauchelnde Persönlichkeiten bald schon im Dutzend und mag auch in Zukunft Zulauf finden, solange die ´Anwärter´ noch mit Haut und Haaren, Faser und Gemüt zu leiden verstehen und das Publikum an Ritualen der Vergötzung und Erhöhung irgendwie Gefallen findet; insgesamt dem Drama öffentlicher Selbstvernichtung zugeneigt bleibt. Cobains Leben war so ein Drama, mit Elementen einer echten Tragikomödie, nicht frei von ironischen und absurden Elementen, die seinen Fall zusätzlich interessant machen, und als öffentliche Person wider Willen, wiewohl an der begleitenden Stilisierung nicht ganz unbeteiligt, erfasste ihn die volle Wucht eines gigantisch geblähten Interessenkartells, dem auf Dauer nur ganz harte, hemmungslos auf Erfolg justierte Charaktere standhalten, die ihr Ego weniger streicheln, mehr straffen und mit zusätzlicher Hornhaut veredeln. Das vermochte unser Held nicht. Hin und hergerissen zwischen Ruhm und Ratlosigkeit, Exzess und Erschlaffung, Wutbrunst und Weinerlichkeit, Hassgestammel und Schrei nach Liebe, ging er früh vor die Hunde. Beinahe täglich litt er schließlich die Widersprüche, die sein skrupulöser Charakter nicht mehr zu einen, wenigstens auszugleichen verstand. In den letzten drei Jahren seiner an fragwürdigen Triumphen reichen, immer leidvoll und zunehmend unwillig erduldeten öffentlichen Existenz geriet der ganze Mensch aus dem Gleichgewicht und fiel endlich strauchelnd von der dünnen, roten Linie ins Abseits, in den toten Winkel, dessen Bannstrahl ihn zeitlebens auf allen Wegen unruhig umfieberte. Zum Schluss hielt er diesem Magnetismus nicht mehr stand. Der Zirkus hatte auch aus ihm einen echten Clown gemacht; einen traurigen, nur mehr hilflos um sich schlagenden Hofnarren wider Willen, der seinen Gram in sich hineinwürgte und in Schüben wieder erbrach; einer, der mehr an der Nadel als am Leben hing – das hing ihm nur mehr zum Hals heraus. Wie ein Fisch in der Wüste wälzte sich dieser schwierige, komplizierte Charakter im staubigen, trockenen Sand, mit sengenden Schuppen und runzelnden Häuten, kaum mehr vom Fleck kommend, eine Weile wild und wendig zappelnd, dann nur mehr matt und müd mit der Flosse wedelnd. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten geriet ihm zum gefährlichen Schützenfest. Immer häufiger erlitt der notorisch Unentschlossene, oft unwillig und trotzig sich Gebärdende die Schnellschüsse der medialen Dauer-Artillerie, wurde er zur schnöden Zielscheibe einer rücksichtslos wütenden Kamarilla, deren Salven treffsicher ins Schwarze zielen. Zu Beginn der 90er häuften sich diese Einschläge, denn die modernen Kommunikationsmedien erlebten gerade eine weitere Blüte, die erst durch das neue Jahrtausend noch einmal unsäglich übertroffen werden sollte. Eine zeitlang war Cobain einer der ständigen ´Haupttreffer´ und seine hilflos stolpernden Ausweichmanöver glichen zum Schluss nur mehr armseligen, kraftlos vorgetragenen Improvisationen, mit denen er sich immer peinlicher über die Runden rettete. Er spielte also, auf seine Art, das Spielchen mit, immer auf Zeit und er brach sich bei der Gelegenheit schließlich das Genick – er konnte gar nicht anders. Unmittelbar nach seinem Freitod – wenn es denn einer gewesen war – kaschierten zügig jede Menge zweifelhafter Nachrufe das traurige Bild. Aus dem Hanswurst, für den er sich selbst hielt, wurde doch noch ein Held, ein trauriger natürlich, und nachträglich wurde so auch ihm ein Rang zuteil, den der Lebende nicht eine Sekunde lang goutiert hätte. Ihn, den Hilflosen, sprachen sie heilig; er, das arme Schwein, wurde zum späten Rebellen stilisiert. Manche fanden seinen Abgang wenig zeitgemäß. Hielten die Nummer für vorgestrig und ´selfish´. Sei´s drum. Im Nachhinein weiß man alles besser und wuchert mit Pfunden, die umso schwerer wiegen, je später man sie in die Wagschale legen kann. Auf den diversen Musikkanälen wird er, pünktlich zu den Jubiläen, auch weiterhin wie ein später, schneller Spuk erledigt: grell aufflackernd, rasch verpuffend, ein schräger Pausenfüller. So ähnlich lief das auch schon Anfang der 90er, als der Gott des Grunge geboren wurde. Mehr denn je gerät heute jede öffentliche Erscheinung zum inszenierten Zerrbild, und die begleitende Fassade zeitigt Inflationen. Die späte ´Würdigung´ gerät dann zum leerem, lausigem Gewäsch, notiert oder gesammelt in lose gebundenen Schlagwortekatalogen: platt geplaudert – plump geplustert.
Wenn ich mir im Folgenden einige Gedanken über den Menschen Kurt Cobain mache, dann geschieht dies mit der festen Absicht, den veröffentlichten Meinungsstrom unbeachtet vorbeiplätschern zu lassen. Er führt mittlerweile so viel Schlacke, Schund und Schmiere mit sich, dass es einen ekelt. Was wollte sich in dieser elenden Pampe noch spiegeln? Die Zutaten vergällen jeden Geschmack und konterkarieren letzte Reste reinen Quellwassers. Ich bescheide mich mit der Absicht, ganz wesentlich aus der eigenen Erinnerung heraus zu berichten, als einer, der damals noch sehr jung gewesen ist und den ganzen Zirkus, das ´Grunge und Gloria´, aus der bequemen Konsumperspektive mitbekommen, miterlebt hat: also als Zeitzeuge, wenn man so will. Ich habe dementsprechend Bilder vor Augen, die sich mit bestimmten Klängen zu einem lebendigen Kaleidoskop mischen; durchaus ein buntes, vielgestaltiges Etwas, das mittels nachträglicher Reflexion eventuell eine Art Gesamteindruck, wiewohl selektiv (weil subjektiv) ermöglicht. Eine solche Betrachtung baut immer auf Bruchstücken, die schon Staub angesetzt haben; gewiss. In ihrer nackten Reinheit spiegeln sie das Gewesene dennoch deutlicher – echter! – als die glatt polierten, nachträglich gezimmerten Oberflächen, deren satter Glanz nur trügt.
Auf den obligatorischen lebensgeschichtlichen Abriss von der Geburt bis zur frühen Neige möchte ich verzichten; irgendwelche Details in Sachen Aufbruch, Durchbruch – Einbruch sollen meine Sache nicht sein. Das Wesentliche ist bekannt. Ich will eher versuchen, ganz persönliche Eindrücke wiederzugeben und entsprechend zu deuten – kaum mehr. Nicht das Konstruieren, Katalogisieren – Kritisieren soll meine Aufgabe sein; es langt schon, mittels einiger Streiflichter etwas Helligkeit ins trübe Zwielicht zu bringen. Aus Prinzip. Gerade die so grell umflackerten Stars und Sternchen bleiben, als Menschen, stets in fahle Schemen, schwach schimmernde Schwaden gehüllt. Da fällt es umso schwerer, den begleitenden Dunst zu durchbrechen um das eine oder andere erhellende Muster auch nur erheischen zu können. Im übrigen kann man einen wie Cobain kaum loben oder tadeln, umhimmeln oder hochmütig herabsetzen. Natürlich fehlte, scheiterte er. Sein Leben missriet gründlich und seine Kunst, wollte man wirklich von einer sprechen, geriet dennoch großartig genug, um ihn, den Urheber, das lebendige ´Gefäß´, würdigen zu dürfen. Das reicht mir.
Fangen wir ruhig mit der Musik an, die, wie auch immer, bleibt. Ob das Zeug noch gespielt wird oder auch nicht oder immer mal wieder und bald wieder weniger und so fort: ist egal.
Ein im Grunde spärliches, fragmentarisch anmutendes Oevre hat Cobain uns hinterlassen. Der begleitende Standort gleicht einem schroff und kantig in die Landschaft gebrochenen Steinbruch, mit Auswürfen größerer, grob und kantig geratener Felsbrocken, die wie gewaltige, wüst umwitterte Klumpen den nackten Boden zieren. Sie ruhen dort, wo sie die Wucht der Detonation einfach hinschleuderte. Dem streifenden Auge präsentieren sich diese kruden Quader wie fiebernde, noch immer unruhig nachdampfende Querschläger, vom Staub umnetzt und Schweißtriefend zugleich: recht ´ungeschlacht´, in ihrer ganzen unschuldigen Pracht. Der unselige, von unruhigen Winden und einer düsteren, stets abendlichen Melancholie umwitterte Ort birgt überdies Massen matt glänzenden Gerölls, hart aneinander gepresste Schuttberge, dazu gärende Sprengkrater und bröckelnde Steilwände; das alles in tiefe, triste Einsamkeit getaucht, die aber eine längst untergehende, seltsam sinnliche Sonne von Ferne umschauert, in´s letzte Zwielicht drängt, bevor die Totenstille, eisige Nacht scheue Kriechtiere und Reptilien verscheucht. Cobain hat seiner nackten, in steter Verzweiflung heillos ausgebrannten Seele den Ort der Vereinsamung gestiftet, der ihr zukam; sozusagen die Kraterlandschaft einer menschlichen, innerlich durchlittenen Katastrophe. Um beim vermuteten ´Dekors´, der ausgebombten Seelenlandschaft zu bleiben: es scheint, als strömten in letzten, zuckenden und zehrende Schüben Massen drückender Lava aus den umliegenden Ritzen und Brüchen; kantige Krusten, die wie eitrige, aufgeplatzte Wunden aus dem Boden runzeln. Wir bestaunen, etwas abseits stehend, eine abweisende und zugleich faustisch umtrübte Mondlandschaft, vom nächtlichen Himmel geschirmt, dessen Irrlichter aus weiter Ferne herunter strahlen. Im Zwielicht verpufft der letzte Schein, aber auch jeder kleinste, klägliche Laut, der aus entlegenem Dickicht hilflos herübertönte, war nur eine ferne, fremde Klage, die an den Steilwänden jämmerlich erstickt und im staubigen Grund umso verlässlicher verreckt. Der wilde Schmerz dessen, der diese grandiose Trümmerlandschaft gebar, hängt wie ein kalter, feuchter Hauch über dem vor Hitze brütenden Totenreich. Jene impulsiven Eruptionen, die das Abbild seiner Abgründe schufen, gleichen einem einzigen Vulkan, der heftig speit; sie lauern noch hintern jeder klaffenden Öffnung, die wie ein leeres Auge stiert. Überhaupt glotzen einen die umliegenden, Zerstörung und Zerfall kündenden Rudimente wie aus toten, starren Höhlen an. Reglos, ohne jede Bewegung, gafft der tote Stein im grenzenlosen Dunkel in ein Nichts hinein. Dieser abgeschiedene, Wundwaide Platz unterscheidet sich immens von jenen Sprengstätten, die in umliegender Nachbarschaft bald wie kleine Giftpilze aus dem Boden schossen. Die platt lärmenden Schießbuden und Krachveranstaltungen der Epigonen und Abstauber kamen an keinen einzigen Volltreffer heran, den der ´Sprengmeister´, den das Original zeitigte; das spürt, das ahnt jeder, der im beschriebenen Utopia mehr als nur ein paar unverbindliche Augenblicke lang verharrt. Kein letzter Schliff oder formschöner Schnick schändet hier den kleinsten Stein; das haben auch die ´Vorarbeiter´ von der Produktion nicht über Gebühr verhindern können. Um endlich etwas konkreter zu werden: Nevermind, ein Meilenstein in der Welt des Rock, ist seinerzeit über Gebühr auf relativen Kommerz getrimmt worden, das hat aber den auf diesem Tonträger versammelten Stücken – den Brocken – nichts von ihrer Reinheit rauben können, und die rachitischen Eruptionen überwältigen noch heute. Die Energie des Schöpfers spricht uns unverändert frisch und forsch an. Einspruch zwecklos.
Was bis hier hin bereits deutlich geworden sein sollte: Diese Musik war im besten Sinne primitiv, echt, ehrlich; ohne je einfältig oder plakativ zu geraten. Sie war genuin und hielt sich nur an das, was der unschuldige Dämon gebar – bei Cobain war eben nichts Zierde oder Verschönerung, da war kein Ballast mehr vorhanden und den hätte diese Musik auch nur schwer ertragen.
Von den ersten wüsten Demos über das nur mühsam glattgebügelte Nevermind bis hin zum bitteren, brastig und verquält stampfenden, sich mühsam in die letzte Runde schleppenden In Utero, dem dann der akustische Schwanengesang, das mitunter etwas süssliche Unplugged folgte: die Nummern offenbarten fast immer einen überreizten, vor Frust und Unmut keuchenden Zwiespalt, der aber gerade auf dem kommerziell erfolgreichsten Album vorzüglich zur Geltung kam. Etwa ´Lithium´ und ´In bloom´. Im ersten Falle ist es der Übergang von einer melancholischen, sang- und klanglos tastenden, fast ein wenig triefenden Träumerei (i´m so ugly, that´s okay cause so are you) zur alles andere als befreienden Entladung, die wirklich jedweder kathartischer Elemente entbehrt und nur ein vergebliches, immer schon angeschlagenes Aufbegehren offenbart; als grantige Geste dessen, der ganz verzweifelt um sich schlägt. Nicht die wilde Wut bricht sich Bahn; mehr eine jäh in ihr Gegenteil umschlagende Verzagtheit: im letzten, lausigen Aufbäumen. Bei ´In bloom´ löst die zynische Gebärde ein sinnentlehrtes, sich in lauter Fragwürdigkeiten heillos genießendes sardonisches Wüten ab. Man könnte die jeweiligen Wechsel als Masche, als Kniff bezeichnen, aber der Trick zieht, und immer auf Anhieb: der Versteinerung folgt dumpfer Schmerz, dem ´sich treiben lassen´ ein brünstiger Feuerstoß, dem regnerischen Getröpfel das grimmige, grantige Gewitter mit Sturm und Hagelbeschuss, dem Plätscherflüsschen ein reissender Strom. Der ganze menschliche Zwiespalt kommt treffsicher und unmissverständlich zum Ausdruck, die Dialektik seelischer Verstimmung, das Aufkochen gemischter Gefühle, aber ohne glückliche, abschließende Fügung, denn die Divergenzen gleichen einander nicht aus, wechseln sich nur gegenseitig ab, münden nicht in mildernde Verklärung.
Mit dieser famosen Mixtur aus brachialem Nihilismus und blähbrünstiger Verzückung, die zwischen forscher Entfesselung und fadem Singsang oszillien, erreichten Nirvana einen erstaunlichen Grad an Originalität. Nevermind ist gespickt mit Liedern, die von solcherlei Gegensätzen leben: laut und krachig, dann wieder verhalten und ernst, unter leiser Wehklage zärtlich werbend und endlich doch in sinnlose, blind ausufernde Zerstörung mündend, schlicht und schemenhaft und sogleich wieder griffig und kompakt, hehr und stolz um schließlich doch gedemütigt in die weichen Knie zu sinken. Immer offenbarte sich so die eigene Verletzlichkeit, eine blutende, nur langsam austrocknende, gähnend klaffende Wunde: der Schmerz des Schöpfers selbst. Das alles bar jeder Pose oder Anbiederung, authentisch also im besten Sinne. Der kompakte Sound nebst kurzer Spielzeit zwang zum direkten Hinhören, nur mal reinhören kann man hier kaum. Es spricht für sich, dass der Hexenmeister seine Klampfe nie mit unnötigen Sperenzchen streckte. Die betont schwerfälligen, stampfenden Intermezzi hielt er so ganz rein. Sie gemahnten noch am ehesten an die frühen Black Sabbath, die ähnlich primitiv zu Werke gingen; bei denen wurden die Tore dann allerdings in eine ganz andere Richtung aufgestoßen. Cobain zielte auf einen Punkt, der irgendwo zwischen Raserei und Resignation kulminiert; so roh und rabiat mitunter, das einem, trotz intensiver Death, Doom und Grindstudien, der Atem stockt. Selbst das kann man aus der Nevermind noch deutlich heraushören: etwa, wenn er in ´Territorial Pissings´ auf Metal oder Rock ganz verzichtet und mit schnellem Punk alles niederwalzt, was sich der sinnlosen Orgie in den Weg stellt. Das erinnerte dann an frühere Tage, als die Gruppe noch sehr viel konventioneller drauflos geknüppelt hat. Paradebeispiel ´Negative creep´: hier wird, aufs alleräußerste gespannt, ein toller Gaul förmlich tot geritten – mit Schaum vor dem Maul. Das ist Verzweiflung pur; ungeschützt und ungeschlacht, roh und rotzig. Im Vergleich dazu kommt diese Grundhaltung später – etwa bei ´On a plain´ – fast nachdenklich, ja sinnig herüber. Mit drückenden Eingeweiden, ganz in vegetative Verkrampfung verstrickt, schlägt er, der nicht mehr weiter weiß, alles kaputt, was in der Nähe steht, aber das hilft auch nicht mehr. Statt einer Tobsucht trächtigt ihn die schlichte Traurigkeit. Cobain glich hier schon dem Boxer im Fliegengewicht: bereits in der zweiten Runde ziemlich angeschlagen, hängt er groggy im losen Netz, ganz und gar angeekelt vom Gegner und vom Publikum, und die Kräfte ließen folgerichtig rapide nach. Jede weitere Runde glich der wirklich letzten welchen.
Mit ´Smells like teen spirit´ haben wir immer noch den treffendsten Beleg dafür, das diese Band den vielen anderen um Meilen voraus war. Man kann das Stück im Nachhinein als kommerziellen Ausverkauf bezeichnen, aber das wäre insgesamt zu billig. Die Müdigkeit, als ein verbrauchtes, Vergeblichkeit zeitigendes Moment, nebst energetischer Verzückung, der jedes Heil abgeht: das hatte man so bis dato noch nicht vernommen und es spricht für sich, das einem das Stück nie wirklich zum Hals heraus hing, wie oft man es damals und später auch hören mochte. In den unverstärkten, akustischen Passagen üben die zehrenden, zweifelnden Phrasen eine stillen Zauber aus, der sich dann – wie anders? – verhalten und verhangen bis zur Explosion steigert. Das alles lebt. Und fand, was Wunder, in die Charts. Aber damit hatte Cobain sein Soll im Grunde schon überzogen, wie sich bereits bei ´Come as you are´, der Nachfolge-Single, zeigt: die schwerfällige, im Anspruch ganz unsinnige, auf schlichte Art monströse Gebärde wirkt hier wie ein seichtes Dahindümpeln durch das entlegene Terrain einer von Mensch und Maus verlassenen, bizarren Unterwasserwelt. Das, was ´Smells like…´ so stark gemacht hat, verkehrt sich dann in dem in manchem Detail ähnlichen ´Heart shaped box´ in sein glattes Gegenteil: hier wankt und strauchelt das Wesen Mensch nur noch mit schweren Gliedern von einem Fleck zu nächsten, saft- und kraftlos, in hilfloser Gebärde, und das betont spröde, spärlich Stück macht im tiefsten Grunde sprachlos. Es spiegelt Cobains Dilemma auf wiederum beeindruckende Weise; wie in einer trüben, traurigen Pfütze. Er hatte, merkt man dieser späten Single an, den Kommerz so satt wie sich selbst; wie alles. Am Ende überstrahlte kein Leuchtfeuer mehr die sich weitende, alles verschlingende Düsternis. Als uns die Gruppe mit ihrem Unplugged Konzert überraschte, war es längst zu spät: die freundlichen, herbstlichen Klänge wiesen wohl auf einen Zustand künstlerischer Läuterung hin, den Cobain indes als Mensch nicht zu halten verstand, weil ihm selbst schon jeder Halt verloren gegangen war, weil schlicht und ergreifend die Kraft, die Ausdauer fehlte. Sein Zorn verpuffte einfach, und die letzten Reste brachen Erregtseins schossen ins Leere. Perspektivlos, ohne Hoffnung oder Ziel: das war die Situation, an der er schließlich zerbrach. Den entscheidenden, rettenden Sprung, der zu mehr Reife und Gelassenheit hätten führen mögen, konnte gerade er nicht mehr tun. –
Ungekünstelt und unverstellt, ohne Tricks und Kniffe bestritt er auch den gesanglichen Vortrag. Den fest umrissenen Akkordmassen, deren simple Harmonik doch brachial und brünstig bordende, monströs anmutende Malströme gebar, gesellte Cobain die passenden vokalen Nuancen hinzu. Er verstand zu wimmern und zu winseln, zu krächzen und zu krakeelen, zu kotzen und mit voller Wucht abzurotzen: zu wispern und zu schreien. Man ist geneigt, von einer einzigen, kranken Depression zu sprechen, die in den Momenten größter Verzweiflung ihren reinsten, wohl auch bedenklichsten Ausdruck fand, während die ruhigeren Abschnitte seinen ewigen Missmut als etwas zutiefst Menschliches offenbarten, den jeder versteht, der einmal den Abgrund der eigenen Seele auch nur geahnt hat. Oft genug kollabierte der Vortrag dieses manisch besessenen Menschen, und keiner konnte das private Unglück anmaßender und überzeugender aus sich heraus pressen. Seine Stimme klang schon ganz früh ausgebrannt und verbraucht, abgewetzt und verschlissen, doch immer auch beunruhigend, ja beängstigend: spätestens, wenn die Stimmung umschlug und er nicht anders konnte als mit schriller, schamlos überspannter Wehklage seinen selbstmörderischen Frust zu erbrechen. Die Stimmbänder hatte Cobain schon bald über Gebühr verausgabt, mitunter aber auch die breite Skala seiner gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten eindrucksvoll unter Beweis gestellt, ohne das es dazu ausgeklügelter Phrasierungen bedurft hätte, über die er ohnehin nicht verfügte: einzig mittels unverstelltem, unvermittelt hervorbrechendem Gefühl vermochte er zu ´treffen´. Bei den Epigonen nahm sich das Cobain´sche Knurren schon sehr viel harmloser aus (die entzückende Gwen Stefanie konnte sich in dieser Sache von ihrem Gatten ein Liedchen singen lassen), wie denn überhaupt die solideren Handwerksgesellen aus dem Seattle´schen Dunstkreis den existentiellen Notschrei in Ton und Gebärde nicht einmal in Ansätzen so direkt trafen wie der grimmige Cobain, der sich, hätte er nur länger gelebt, am Ende wie weiland Van Gogh sicher noch ein Ohr abgetrennt hätte. Mir fällt übrigens in dieser Sache ein noch sehr viel entlegenerer Vergleich ein. Wie eine vorweggenommene Parodie nimmt sich der nervtötende Gesang des frühen Ozzy Ozzborne aus: ein wehleidiger, aufgedunsener Zwitter, irgendwo zwischen beleidigtem Riesenbaby und schwerem Guiness- Schamanen parlierend bzw. kulminierend. Beide leiden irgendwie; jeder auf seine Weise, und man sieht es ihnen auch an. Der eine von beiden lebt (noch immer), der andere hat´s hinter sich gebracht.
Womit wir unseren Blick passenderweise der äußeren Erscheinung zuwenden wollen. Einer zunehmend aufdringlicheren Öffentlichkeit ausgeliefert, deren Omnipräsenz ihn ständig verfolgte, sprach der Blick bald Bände. Cobain wirkte, vor allem ganz zum Schluss, total gerädert; als sei er ständig müde und doch seltsam wach, wie in gespannter Trance, in Erwartung der stündlich hereinbrechenden Katastrophe. Mit stur aufeinandergepressten Lippen gab er seine monotonen Kommentare ab, die der Verzweiflung Vorschub leisteten und ein zunehmendes Desinteresse verrieten. Seine Aussagen gerieten oft zynisch, waren aber anfangs noch diplomatisch angelegt. In summa fassten sie die Verachtung und den begleitenden Verdruss zusammen. Ratlos sann er darüber nach, wie es weiter gehen soll. Er fand keine Antwort. Keine, die Beruhigung, Versöhnung versprochen hätte. Man konnte den Wutstau nachempfinden, der jenseits der starren Fassade den enormen Druck verursachte, welchen er zunehmend unter Krämpfen zu bannen versuchte, was aber missriet: die ganze grenzenlose Verbitterung ist nur so zu verstehen. Stets versteinert und hilflos reserviert habe ich ihn in Erinnerung, auch bei den Shows, worauf ich gleich noch näher eingehen werde. Die meiste Zeit kam er relativ übellaunig rüber, war er irgendwie mies drauf, und das war es auch, was die Leute brauchten, nachdem ihnen die späten Achtziger mit ihren hohlen Inszenierungen endlich zum Halse heraushingen (war es vorher mit Punk und New Wave nicht ganz ähnlich gewesen?). Ich meine, er wirkte doch stets wie ein kleiner Junge, ganz auf sich gestellt, da draußen in der großen Stadt, die ihn mit Dingen konfrontierte, die ihn fertig machten, die ihm voll gegen den Strich gingen, seinem feinen Narzissmus widersprachen. Er wollte, beteuerte er in einem späten Interview, den Ruhm, aber unter Wahrung der Anonymität eines Schlagzeugers. Die Schießbude war schon vergeben. Und das Geschäft scherte sich nicht um derlei feininnige Äußerungen des Gemüts. Cobain ahnte früh den Betrug, der jede Hype begleitet und dann bekam er die Ergebnisse selbst zu spüren, als Erfahrungen am eigenen, klammen, dürren Leib: die begleitenden Wechselbäder, den Spießrutenlauf. Um die Metapher zu vollenden: er selbst war es auch – nackt und verletzlich, getrieben und gedemütigt, am Ende nur mehr in abstoßende, filzige Bärenfelle gehüllt, wie ein Troll aus dem Bergen.
Auf der Bühne vollzog sich eine merkwürdige Kohäsion aus Stärke und Schwäche, Offenbarung und Selbstzerstörung, Erstarrung und Erregung. Hier geriet die nihilistische Wucht zur phonstarken Exhibitionsorgie, und dem völligen Zusammenbruch eilten irrwitzige Raserei, mürrisches Wüten, sinnlose Zuckungen voraus. Die finalen Zerstörungsdadaismen, auf den ersten Blick nur frisierte Retro-Nummern aus der alten Rock´n Roll Kiste, brachten auf den Punkt, worum es eigentlich ging, worauf alles schlussendlich hinaus lief – nämlich auf den totalen, immer wieder hinausgezögerten Genickschuss. Cobain inszenierte sozusagen am Ende einer Show das eigene Hinrichtungskommando, er übte schon mal und nahm vorweg, worauf im Grunde alles hinausflaufen musste. Der tödliche Ernst, mit dem die Band ihre Version von Null Bock und No Future unter´s versammelte Volk lärmte, verlieh den grantigen Exzessen eine gewisse Würde und die saloppe, achselzuckende Gebärde, das schnoddrige, sture Zurschaustellen einer definitiven Scheißegal-Haltung machte sie in letzter Konsequenz dennoch zunichte. Die wilden Ausbrüche waren kaum mehr als vorweg genommene Totalkapitulationen; letzte, viel Staub und Schotter aufwirbelnde exitale Eruptionen. Die Unbedingtheit, mit der Cobain sich, ohne zu täuschen, öffentlich entblößte, ja enthemmte, sprengte noch einmal den Rahmen, der ihm keinen Schutz mehr bot. Er warf den Fans seine brennende Seele wie Dreck vor die Füße und trampelte noch wie ein Berserker selbst darauf herum. Das war weniger ein Veitstanz, mehr eine Art dauernder Urschrei in der losen Zwangsjacke. Die Leute merkten instinktiv, dass da jemand vor ihren Augen vor die Hunde ging, wie ein tolldreister Kamikaze mächtig beschleunigte und an Bord ein Feuer legte: Cobain war der Bruchpilot an Bord einer flammenden Wurfspitze, die zur Fackel im Sturm geriet und rasch verglühte, bevor die Reste Schrott scheppernd zu Boden krachten. So hat er sich vergeudet und verschwendet und vertan: stellvertretend für all diejenigen, die auch gerne mal so richtig und ohne Rücksicht auf Verluste die irre Sau rausgelassen hätten. Er verzehrte sich anstelle derer, die vor einer derartigen Frustralerektion – bis zum Platzen – noch im letzten Moment zurück schrecken. Er hat auf diesem Wege den Schmerz wider jedes bekömmliche Maß ständig von neuem (und ganz vergeblich) aus sich herausgewürgt und das Publikum bekam nie genug von diesen Wehen. Die rituelle Selbstzerfleischung war als Bestandteil einer stets spartanischen, ohne schnöde Schnörkel vollzogenen Performance davor gefeit, zum Manierismus zu verkommen; bis in die schwindelnden Höhen des unerwarteten Ruhmes hat sich die Band so eine gewisse Glaubwürdigkeit bewahrt. Lange, allerdings, hätte man ihnen das auch nicht mehr abgekauft. Der Held sorgte rechtzeitig dafür, dass die Gebärde sich nicht abnutzte. Cobain hatte einen Ekel davor, irgendwie korrumpiert zu werden, er wollte sich durch nichts und niemanden vereinnahmen lassen und so wollte, musste er am Ende abstürzen, sollte die Weste rein bleiben. Bloß nicht wie Pete Townshend enden. Sein grimmiger Humor, der nie in rettende Ironie umschlagen wollte, geriet bei den Konzerten zur verquälten Sondereinlage, etwa, wenn er bei Top of the Pops den Reißer ´Smells like…´ zu einem muffigen Abgesang herunterschraubte – Gruft meets Blödelbarde. Ich fand das gar nicht übel, aber die meisten legten es ihm fälschlich als Arroganz, dümmer noch: als unprofessionell aus. Auch die handwerklichen Mängel passten bestens in das flatternde, mitunter komische Gewand; richtig gut spielen konnte keiner von den dreien. So streckte Cobain den Mythos Rock´n Roll nieder: mit ein paar lausigen Akkorden, gelegentlichen Spielfehlern und einem Höllenfeedback – bis dato waren das alles nur noch Klischees gewesen. Wenn sich bei weiland Jimi Hendrix Wut und kühl kalkuliertes Showgebaren die Waage hielten, dann war bei der Cobain´schen Hau-drauf-Orgie, die er nicht selten aus Langeweile vorzeitig abbrach, die schiere Verzweiflung wegweisend; er wusste dann wohl um den nutzlosen Abklatsch, den er da praktizierte und probte umso bärbeißiger den sinnlosen Aufstand. Und warf, lustlos, einen Verstärker um und die Gitarre beiseite und schlich von der viel zu großen Bühne; wie´n müder Hund. Wenn ihn, wie zu vermuten steht, wirklich die meiste Zeit alles abstieß und keinen rechten Spaß mehr machte (seine Wut nährte sich aus schwach umfieberter Eiseskälte und umgekehrt), dann war dies ein aufrichtiges Bekenntnis in Sachen Gereiztheit, Desillusionierung und Kapitulation. Das war eben sein Stil, ein anderer verfing nicht mehr. Vielleicht waren die Sternstunden nur ganz seltene Ausnahmen und eine trübe Sonnenfinsternis die Regel. Man könnte annehmen das ihm – wie allen, die bis zum Äußersten gehen – zum Schluss nichts mehr übrig blieb; er hatte es, wie weiland Jim Morrison in einem letzten Gedicht befand, einfach weggepisst – alles. Nobler gesprochen: in alle Fernen fortgejagt, von fremden, kalten Winden getragen. Kurz vor seinem Tode gab Cobain bekannt, das er jetzt sein Leben bis zur Neige auszukosten gedenke; da hatten ihn aber schon sämtliche Geschmacksnerven verlassen. Die traurige Wahrheit ist, das von den knapp zweieinhalb Jahren Ruhm und Ehr´ auf unterschiedliche Art und Weise fast jeder etwa hatte, nur er wohl nicht. Für ihn wird es schnell die Hölle gewesen sein, körperlich und emotional. Er befand sich am Ende in einem Vakuum, einer Blase, groß genug, um sich darin noch eine Weile treiben zu lassen: immer tiefer, immer weiter, bis das Gummi platzt. Als es mit der Hype losging – der übliche Ausverkauf, die Riesenverarsche – da wurde ihm, auch wenn er das zunächst nicht ganz wahr haben wollte, bewusst, was für ein Witz alles war und er litt unsäglich daran, weil er richtig zynisch wohl nicht sein konnte. Cobain war eben unfähig, das Ganze mit einem souveränen Lachen zu quittieren. Das lag ihm nicht.
Das konnte nicht lange gut gehen. Unser Held weigerte sich stur, den einen oder anderen Burgfrieden zu schließen. Blies zum einsamen, von vornherein verlorenen Sturm. Jede noch so protzige, breitwandige Festung provozierte sein Gemüt, das sich in verquälten Zuckungen wand. Um es salopp zu formulieren: dieser Mensch konnte nicht erwachsen werden; mit allem, was billigerweise so dazu gehört. Er sah sich außerstande, von gewissen Maximalpositionen abzurücken. Man hat ihm eine Art Gefühlsfundamentalismus nachgesagt, und in gewisser Weise war das der einzige Glaube, den er litt. Einfach Kompromisse schließen, sich arrangieren und das Beste aus einer Sache machen, die sich nicht wandeln, nur stetig ändern lässt (auch da gibt es keine Garantien), langsam ruhiger und entspannter werden, die Dinge endlich in milderem Lichte betrachten, alles etwas lockerer nehmen und dennoch mit der Arbeit fortfahren, also: einfach weiter machen – lag ihm nicht. Er hatte auch keine Ideale mehr, aber seine heimlichen Illusionen ließen ihm nie Ruhe; pochten auf ihr Recht, dass er am Ende vollständig verwirkt, entwertet, erledigt sah. Er hatte das Spielchen durchschaut, aber davon taten ihm nur die Augen weh. Er wusste um die üblichen Handgriffe, aber die eigenen zitterten vor Erregung. Vom bloßen Mitspielen wurde ihm speiübel. Das ganze professionelle Gehabe derer, die unbekümmert mittaten, war ihm ein Graus. Je unseliger er über einfache Wahrheiten und feste Tatbestände nachgrübelte, deren simples ´So-Sein´ er nicht länger ertrug, desto stärker rebellierte der ganze dürre, Heroinverseuchte Leib. Meist drehte sich ihm, nach eigenem Bekunden, der Magen um. Er reagierte physisch wie psychisch extrem. Der Kummer lag schwer auf der Seele. Die Frustration, von der in seinem Falle wiederholt die Rede sein muss, grub sich verräterisch und unbarmherzig in dieses Gesicht ein, das damals von unzähligen Postern und Zeitschriften eher verdrossen, verstohlen und lauernd auf den ahnungslosen Konsumenten herabsah. Mit weit geöffneten, starren Augen sah er uns an; weniger fragend, mehr zweifelnd. Stumm und stier starrend, blickte dieser arme Mensch an allem und jedem vorbei – ins Nichts. Der Meute war er ein Held; sie waren ihm nur zum Kotzen. Er wird denn auch das Meiste an Wut und Verzweiflung jenseits anstehender Auftritte zäh in sich hineingefressen haben, und wenn er die resultierende Verbitterung schließlich bis zur Halsentzündung aus sich rausgeschrien hatte, dann malträtierte er, neben den Verstärkern und der zur Verfügung stehenden Klampfe, hauptsächlich sich selbst. Indem Cobain allen Gram wieder und wieder, stets von neuem in sich hinein schluckte, verabreichte er sich selbst tausend kleine, fiese Nadelstiche, und wenn er, im umgekehrten Falle, den Seelenmüll unter viehischen Klagelauten fort spie, ihn abließ wie einen kalten, knarrenden Riesenfurz, folgte die endlose Öde. Nirvana – der Name passte wirklich.
Dieser Mann litt unter einer ganzen Reihe innerer Widersprüche. Und konnte die wesentlichen, grundsätzlichen Wahrheiten im Leben nicht akzeptieren. Er kämpfte gegen die Windmühlen des Kommerz wie ein vorzeitig ergrauter Don Quixote, und sein in Ansätzen zynisches Ich, ein schwacher, tattriger Sancho Pansa, kicherte verstohlen und verräterisch, ohne den Ritter von der traurigen Gestalt nachhaltig damit beeindrucken zu können. Zwiespalt zeitigt entweder dialektische Aussöhnung oder divergierenden, dauerhaft tötenden Schmerz. Cobain fehlte schließlich, glaube ich, das Fundament, diese Welt so zu ertragen, wie sie nun einmal ist. Ihm fehlte schlicht der Boden unter den Füßen, auch der weiche Teppich, den er sich selbst beizeiten weggezogen hatte. Die kommerziellen Erfolge befeuerten sein hoffnungsloses Aufbegehren gegen einen Popzirkus, der ihm überhaupt erst ermöglichte, all sein Sehnen und Schmachten irgendeiner Gemeinde transparent machen zu können. Die Schar der Bewunderer wuchs, aber das Selbstbewusstsein des Meisters schrumpfte mit der Anbetung, die man ihm entgegen brachte. Das alles nahm sich im Zuge rücksichtsloser Verwertungslogik kläglich aus und in diesem Zirkus begriff er sich als tragischen Clown: ein armer Fiedler, der die schmerzverzerrte Maske wie einen einzigen Hohn mit sich herumtrug. Als einer gegen alle und alles. Da hatten sie ihn auch längst alle im (Würge)Griff: die Fans, die Medien, die Industrie – die Meute. Das Räderwerk lief auf Hochtouren. Und er, der Star, nur immer hinterher. Er wusste wohl genau, was er nicht wollte, nicht sein konnte – das wissen moralische Menschen mit Marter im Leibe immer ganz genau – aber was er dann machen sollte, als ihn die Wirklichkeit eingeholt hatte, wusste er noch weniger als irgendetwas sonst. Wenn solchen wie ihm der eine, der hohe ethische Anspruch missrät, wenn er zwischen den Fingern – den fahrigen – wie Sand zerrinnt: was dann? Wenn das hehre Ideal zerbricht, indem es schon an den vielen kleinen, niederen Gemeinheiten kaputtzugehen droht, und wenn diese moralischen Menschen dann selbst in den Kreislauf geraten, der sie der breiten, banalen Öffentlichkeit ausliefert, dieser seelenlosen Masse Mensch: dann droht endlich die selbstverschuldete Stunde der Wahrheit. Wenn man schließlich alles nur noch mitmachen muss, ohnmächtig und ohne echte Alternative, dann geht schließlich auch der Schuss nach hinten, sprich: gegen einen selbst los, und in einem seltsam lichten Moment paaren sich Resignation und Erregung zu einer unheilvollen Allianz, und alles Übrige, alles Gewesene gleicht einer abgelaufenen Hypothek.
Dann war er also tot; hatte sich mit einem lauten, hässlichen Knall aus dem Diesseits verabschiedet. Er nahm den Grunge gleich mit. Diese Melange aus Metal, Punk und etwas Wave schob sich für kurze Zeit wie ein wälzender Lavastrom über die leer gegrasten Weiden einer saturiert und selbstgefällig vor sich hindümpelnden Unterhaltungslandschaft. Konkurrenz belebte den Popzirkus seit je, und immer wieder kam und kommt es zu lokalen Ereignissen, die mächtig Wellen schlagen. Das Seattle´sche Intermezzo war wohl, in etwa zeitgleich mit dem Aufkommen von Techno, ein vorerst letztes, halbwegs authentisches Ereignis in Sachen Rock und Pop, und es ist kein Zufall, das seither die geklonten Projekte den inflationären Reigen in Gang gebracht haben und unvermindert die Szene (die Szene?) dominieren. Hip Hop oder Black Music konnten eine gewisse Originalität beanspruchen, sind aber mit der notorischen Verkaufsmaschinerie sehr viel lockerer und selbstverständlicher verwachsen als die zahlreichen Vorläufer, deren Habitus immerhin mehrdeutig blieb. Ob sie auch wirklich authentischer waren bzw. blieben? Dem Sog des Kommerziellen entging keine ´Bewegung´ und auch der Grunge konnte erstaunlich zügig und zunehmend reibungslos integriert werden. Die Hype hob schnell alles in ein schiefes, dennoch bunt schimmerndes Licht, dessen schale Blendkraft jedem Auslaufmodell den letzten, schon ermattenden Glanz verleiht. Überhaupt eignen sich der Grunge und sein Abgott vorzüglich, um gewisse, stets wiederkehrende Abläufe zu verdeutlichen, die nur solchen übel aufstoßen, die auf ihr privates Luftschloss nicht verzichten können oder wollen. Anfangs, an der Peripherie, scheint alles noch ganz unberechenbar, wie im Fluss, der nur seinen eigenen Läufen folgt, aber sobald gewisse Strömungen gezielt umgeleitet und kontrollierte Flutungen eingeleitet werden, gleicht die Szene schon einer überschwemmten Binnensenke, von der monströsen Talsperre geschirmt, die jeden letzten Tropfen sichert. Von den quirligen Läufen keine Spur mehr – Land unter. Die ganze Choose quillt über, und es ist automatisch viel Unrat, Dreck dabei. Anders formuliert: alles, was Verkaufsträchtig scheint, greift die Industrie auf, und die originale Vielfalt verreckt im Monokulturellen Einheitsgefilde, deren öde Ableger enorme Absätze garantieren. Auf diese Weise ebnet ein Agrar-Konzern wie Monsanto weltweit mittels getürktem Saatgut die regionalen Vielfalten ein.
Der Ideenreichtum, den die Szene in und um Seattle zu bieten hatte, schien kurzfristig in aller Ohren und erstickt rasch am üblichen Verwertungsprozess. So nutzte sich das Modell rasch ab, wurde öde, austauschbar und plakativ; sein eigenes Plagiat. Anfangs brummt das Geschäft. Der schnöde Ausverkauf duldet keine zeitlichen Verzögerungen. Beschleunigung geht über Entwicklung, Kommerz kommt vor jeder Kunst, haben sich die Vorzeichen erst einmal gewandelt. Das war schon immer so. Einspruch zwecklos. Den wagt auch keiner mehr. Gewisse Moden und Trends biedern sich mittlerweile längst in Echtzeit an, verbrauchen sich also noch schneller und können, je nach Bedarf, recycelt werden. Cobain spürte etwas davon; und er verzieh es sich nie. Mitgegangen, mitgehangen. Diese resolute Grundhaltung war dem eigenen künstlerischen Selbstverständnis geschuldet. Ihm, dem alles schnuppe war, stach stündlich die Erkenntnis, das der Industrie nichts heilig ist. Sie funktioniert auf ihre Weise anarchisch, aber wie geölt. Und an Typen wie Cobain, die darunter noch innig leiden, erkennt man den Zwiespalt des Menschseins sehr deutlich; als Messer, das sich tief ins Fleisch schneidet. Wo Anspruch und Wirklichkeit divergieren gerät die lautere Seele in Fehde mit sich selbst. Das macht, jenseits der lärmenden Erscheinungen den stillen, stummen Adel aus, den die Ausnahmen, die ´Besonderen´ wie ein schwere Mitgift tragen. Um daran zu zerbrechen. Oft schon lange vor jeder möglichen Entfaltung oder gar ´Blüte´. Was muss nicht alles zusammen kommen, soll wirklich einmal etwas ganz Eigenes zu einem Großen, Hehren wachsen, von der breiten Masse weniger verstanden als baff und blöd bestaunt. Unser Held hielt eine Weile mit; und alles aus. Womöglich war gerade Cobain der vorerst letzte Beweis, das im Trivialen (Unterhaltungsmusik kann beides sein: trivial und außergewöhnlich) jedes noch so sensible Pflänzchen nicht zwangsweise in ersten Ansätzen verkümmern muss oder in der Anonymität schnell wieder verblüht: totgeboren, totgestorben. Es ist aber der Zeitgeist, der den Dünger liefert und die zarten Keime gründlich mordet. Wie gesagt: dieser Mensch verwand das nicht.
Heute werden die Marken schon im Vorfeld klarer gesteckt und statt eines spielerischen Umgangs lernen die Epigonen früh, professionell ´mitzuspielen´. Der Zwiespalt zwischen Establishment und Subkultur, die ganzen ehedem so kühn verkündeten Gegensätze sind längst aufgeweicht, zum Teil bereits diskret beseitigt worden. Das muss man nicht unbedingt schlimm finden. Diese ´Bereinigungen´ schließen im übrigen gewisse Einzelfälle, als Ausnahmen, nicht aus. Unterschiedliche Formen narzisstisch ausgelebten und kühn verkündeten Protests hat die gut geölte Maschinerie zwar längst absorbiert, und immer halbherziger, harmloser, oberflächlicher geraten die Spleens und Attitüden; wären sie nur ein klein weniger forscher, fielen sie ganz durch. Doch fallen immer wieder ´Spätlinge´ durch´s Netz. Masche und Kalkül kreieren derweil einen Einheitsbrei, der zunehmend ungenießbar scheint. Heute ist die ganze Szene auf unterschiedliche Weise mit dem Kommerz verschmolzen, und der kapitale Überbau, der ihr seit je die große Bühne bot, bricht so schnell nicht weg. Rebellion und Auflehnung sind nur flüchtige, mitunter fade Reflexe auf einer insgesamt leeren, austauschbaren Großleinwand. Die totale Selbstverwirklichung erscheint hier eben auch nur als eine weitere, verwertbare Form, und die begleitenden Attitüden lassen sich locker an den Mainstream anpassen und alle divergierenden Bemühungen laufen nach einer Weile mit auf jener klaren, wiewohl krummkantigen Linie, die wie ein Magnetstreifen jeden Impuls aufgreift und nutzbar (also: zu Geld) macht. Alles wird so in die Bahn gezwungen. Mainstream or Independent? Is all the same. Auch im Netz. Auch auf You Tube. Jeder kann mal, darf mal, kost nix – kräht schon bald kein Hahn mehr nach. Illegale Downloads haben den Konzernen enorme Verluste verursacht, aber die Verwertungslogik ist dieselbe geblieben und es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis der Rubel auch auf den neuen Strecken wieder rollt. So läuft das, so ist da eben. Daher auch die Ratlosigkeit derer, die irgendwie cool bleiben wollen. Deren mühsame Manierismen wirken eher komisch, kläglich. Die totale Beliebigkeit bei umfassender Unübersichtlichkeit bietet heute ganz bewusst keine Probleme mehr. Man könnte sagen: sie stehen nicht mehr zur Disposition. Cobain nagte noch an Zweifeln, die in der Branche mittlerweile keinen mehr umtreiben. Das machte ihn noch einmal einmalig; unverwechselbar. Er war einer der Letzten, die den eigenen Kontrollverlust in Momenten höchster Verzweiflung wie ein umgedrehtes Opiat auskosteten: eines, das mehr aufpeitscht als ´runter´ bringt. Das zog gewaltig und hat ihm den Rest gegeben. Die Hype war etliche Nummern zu groß für einen ihn: der Stress, die Massen – die vielen, allzu vielen Möglichkeiten, deren jede einzelne nur zusätzliche Atemnot erzeugt. Zwischen Planung und Vollzug eingeklemmt, von einem Termin zum nächsten eilend, keuchte sich unser Held zu Tode.
Cobain war und ist also, Irrtum ausgeschlossen, fester Bestandteil eines Konsumvergessenen, strikt merkantil justierten Spuks: als Erlöser oder Penner von der Straße, als Vorbild oder Feindbild, alternativer Kaputtnik oder intellektueller Paradiesvogel im Gossenverschnitt. Derlei Zerrbilder ließen sich schon damals gut verkaufen, und die Ikone verbürgt den Erfolg. So auch dieser Tage wieder. Derlei leidige ´Jubiläen´. Bei diesen Gelegenheiten tauchen auch immer – wie von Zauberhand – letzte Tapes auf, die sich so gut verkloppen lassen wie die nachlässig getürkten Erinnerungen der Zeitzeugen, deren Anekdotenschätze mit der Plautze und dem Hüftgold nachwachsen. Da wird pünktlich an passenden Hommages gebastelt, die immer oberflächelicher, Klischeebeladener daher kommen, werden dem Betrachter die üblichen Videos oder frisierte Konservenschnipsel um die Ohren und gehauen und sicher ist nur eins: einige wenige kassieren noch einmal richtig fett ab. Das zählt noch immer – mehr denn je. Das sie ihn schon zu Lebzeiten zu einem Idol (v)erklärten, war ihm ein echter Graus, obschon sich ein Teil dieser kranken Seele heimlich danach verzehrte – und sei´s bloß als Kotzvorlage. Er, der mit den Zukurzgekommenen, den gescheiterten Existenzen und total ´Fertigen´ kokettierte und zuinnerst wohl auch so einer gewesen ist, er war – über Nacht – zum steinreichen Vorzeigepunkrockoberguru geworden: zu viel für einen ihn. Sie machten auch aus ihm das blöde Idol, den Grunge-Gott, der besoffen über den Wassern schwebt, wo er doch in Wahrheit stündlich absoff. Er hielt nicht mit, weil er´s gar nicht konnte und nicht wollte und weil ihm eben seine Sensibilität, die dauernde Dünnhäutigkeit dabei im Wege stand. Es gab und gibt Typen wie David Bowie oder Mick Jagger, die den Glamour und das gleißende Scheinwerferlicht als Stimulanz sehr nötig haben, einen entsprechend koketten Umgang pflegen und sich mit dem Phänomen endlich arrangieren. Und es gibt solche wie Cobain, die darob umso inniger in grüblerische Schwermut geraten und daran zu Grunde gehen. Und wenn Mick Jagger, der Urgroßvater, seinerzeit feststellte, das es so wohl kommen musste im Falle Kurt Cobain, dann wusste er das aus eigener Anschauung, weil er in einem langen Rock´n Roll Leben einen ganzen Haufen Leute zugrunde gehen sah; alles solche, die ebenfalls außerstande waren, die Notbremse zu ziehen. Randfiguren, Titelanwärter und tragische Helden. Wie Cobain. Den spülte eine Laune der Geschichte nach ganz oben; es war halt wieder so weit. Und er nutzte die Gunst der Stunde, indem er der ganzen Seattle Bewegung ohne Umschweife den würdigen Kopfschuss verabreichte: erst hat sie ihn gemacht, dann ist sie durch ihn zur ganz großen Mache geworden, und dann konnte keine Macht der Welt mehr den großen Ausverkauf stoppen, der so absurd, so grotesk geriet, das unser Held wie ein belämmerter Idiot auf der letzten Woge in den Untergang segelte. Mit Kurt Cobain und seiner Band kam noch einmal alles zurück, um im groben Schnellverfahren rücksichtslos gemeuchelt zu werden: der Hass, die Geschwindigkeit, der schnelle Ruhm und das große Geld – der unselige Rest. Cobain passte – obschon unfähig zur Assimilation – ganz hervorragend in den Kontext: er war so etwas wie ein hochsensibler, dünnhäutiger Dandy zum Abwinken, ein Decadent, der als Gallionsfigur für die Vielen und die Wenigen gleichzeitig herhalten musste. Am Ende hat´s ihm gereicht. Es reichte noch zur Betätigung eines Auslösers und zum Bekrickeln eines Papierfetzens. Es reichte auch schon vor dem grausigen Ende zum Mythos und das hat er wirklich gehasst, als ihm schon alles am Arsch vorbei ging. Die fette Konsumvorlage ´Kurt Cobain und Nirvana´ peppte den Magen auf, machte Appetit auf mehr und brachte den, der gemeint war, nur noch zum Reihern. Zur Verzweiflung eben – dem folgte das endgültige Schweigen. Der Künstler hat das in einigen Videos schon vorweggenommen, immer am Ende des Werkes: das manische Grinsen, sich steigernd – dann erstarrte die Maske. Er hielt sich auch früh die Knarre in den Rachen. Oder den Zeigefinger an die Schläfe. In der Restrospektive erscheint alles auf fast gespenstische Art und Weise vorherbestimmt; nahezu zwangsläufig und unausweichlich. Er plante die eigene Katastrophe so gut es ging.
Vielleicht wollte er sich gar nicht umbringen, als es gerade so weit war. Er hatte, wie gesagt, schon vorher oft genug damit kokettiert, ständig davon gefaselt. Kann sein, das ihm halt wieder danach war. Muss aber nicht. Vielleicht wollte er sich mit seinem Abschiedszettelchen bloß von der Band und einer breiten, bauschen Öffentlichkeit verabschieden. Aus einem ähnlichen Grund ging weiland Jim Morrison nach Paris. Er landete tot in der Wanne. Cobain ging gleichsam baden. Vielleicht hat er – das würde zu ihm passen – in einem spontanen Anfall depressiver Ekstase einfach abgedrückt und fertig. Peng. So knall auf Fall, könnte man sagen. Vielleicht wand er sich noch einmal wie ein Aal. Und zögerte das Ende umständlich heraus. Wer weiß.
Natürlich stellt sich auch im Falle Kurt Cobain die Frage, was denn unter Umständen noch aus ihm hätte werden können oder sollen, wenn es diesen Tag X (oder deren mögliche weitere) nicht gegeben hätte. Wäre aus dem einstigen Prunkstück der Seattle´schen Welteroberungsflotte ein schrottreifer, mühselig vor sich hindümpelnder Kenterkahn geworden? Hätte Cobain das feist und fade, das abgemagerte Zerrbild seiner selbst auf mühselige Weise perpetuiert? Irgendwo zwischen einem fettbäuchigem Brando und dem in diversen Vororten herumhurenden, total versoffenen Bukowski? Diese Typen sind ja, solcherart fortlaufend kapitulierend, noch ordentlich in die Jahre gekommen. Hätte Cobain das Leben auf der Überholspur noch eine Weile fortgeführt, um endgültig zu einer Ruine zu verkommen, deren Reste nur abseits schmucker Siedlungen vor sich hinbröckeln, von freundlichem Farn, von der Erinnerung überwuchert? Wäre er verrückt geworden? Hätte er sich versteckt wie weiland Syd Barrett? Oder wäre er, so ab Anfang dreißig aufwärts, doch noch zur Vernunft gekommen? Dann hätte sich vielleicht mit den Jahren alles eingerenkt, und es wäre folgerichtig um ihn und die Band sehr viel ruhiger geworden. Damit hätte er dann aber auch unfehlbar den eigenen Nimbus eingebüßt. Ein zweiter Dylan oder Clapton wäre aus ihm kaum geworden. Im Übrigen sind das wilde Spekulationen; mehr nicht. Dazu zählt auch die Behauptung, mit ihm sei nun endgültig der Rock´n Roll vor die Hunde gegangen: die Grungebewegung als Abschiedstournee eines Mythos. Aber hätte man das nicht auch schon vom Elvis Presley sagen können, lange, bevor der in Las Vegas ein abgetakeltes Publikum mit aufgedunsener Vorderfront und glitzernder Pomade bei Laune hielt? Oder von den Stones, die vor über dreißig Jahren beschlossen, die längste Abschiedtour aller Zeiten in die Wege zu leiten? Leises Schaudern überkommt einen, wenn man in diesem Zusammenhang an Blondie oder die Sex Pistols denkt, deren Comebackversuche zwischen Grauen und Groteske erodierten. Man stelle sich das vor: Kurt Cobain, Mitte Vierzig, milde lächelnd (oder senil sinnend?) stimmt ´Territorial Pissings´ an und fällt danach (oder mittendrin) kollabierend von der Bühne: die Pumpe oder das Herz; wer weiß. Die Zukunft steht, mit oder ohne Nirvana, in den Sternen. Da oben, im Gefunkel, wird sich auch unser Held immer mal wieder zeigen: auch er in Form eines Kometen, der den vorgeschriebenen Bahnen folgt und beizeiten etwas näher rückt, bevor der Schweif wieder verblasst, weil der Brocken erneut im Dunkel versinkt.
Zum Schluss noch ein paar Bemerkungen, was seine kurze Ehe betrifft; ferner hinsichtlich gewisser Vergleiche – jene betreffend, die den Olymp des Rock schon etwas eher erklommen.
Die Heirat mit Courtney Love passte wohl ganz gut in das monströse Klischee, das ihn umgab und, gleich einem teuflischen Netz, in weitere Widersprüche verstrickte, überhaupt jeden weiteren Schritt unterminierte und ihn schließlich endgültig zum Straucheln brachte. Privat passte es bald vorn und hinten nicht mehr. Sie hatten beide einen Knall zu viel weg und da war es, behaupte ich, nur eine Frage der Zeit, bis es richtig knallte. Ob das zu billig ist, es so platt heraus zu sagen? Aber spontan tut einem vor allem das Kind leid; Kinder sind immer die eigentlich Leidtragenden in so einer Sache. Und müssen schon früh für alles Mögliche herhalten. Wenn es überhaupt einen Sinn gibt, maulte Cobain, dann ist sie das. Gemeint war die Tochter; das Baby. Was soll man dazu sagen? Und was sagt das über den aus, der das so sagte, bevor er alle weiteren ´Termine´ endgültig und für immer absagte.
In John Lennon hat Cobain, entfernt, einen Vorgänger, den, umgekehrt, die Ehe gerettet haben wird. Aber auch ihm blieb es nicht erspart, das sie zu Lebzeiten einen Heiligen aus ihm machten. So auch unser Held: aus einem fleischlich-sterblichen Häuflein Elend mit heiseren Verstimmungen wurde rasch ein Maharishi Mahatma Cobain; aus einem ratlosen Gesell der James Dean des Punkrockrevivals. Seither halten die einen ihn für einen Waschlappen, die andern huldigen einer Verkaufsträchtigen Grimasse. Von der heutigen, pragmatischen Internetjugend kennen ihn wenige. Aber vielleicht kommt dann irgendwann wieder eine andere Generation zum Zuge, die den Helden von Herzen für sich entdeckt; dann rollt auch der Rubel wieder: Like a rolling stone.
(erstmals Ende 2001)
Shanto Trdic, 25.03.2014
Guter Essay über das Weinerlichkeitsphänomen, das Bühnendasein und den Untergang, Shanto – aber zu viele Metaphern jagen einander, machen Lärm und und fallen sehr auf. Man muss sie beim Lesen abstellen, um der Handlung und den Bildern zu folgen – was mir nicht gelingt.
Ein Beispiel von sehr vielen:
„Der Jahrmarkt der Eitelkeiten geriet ihm zum gefährlichen Schützenfest. Immer häufiger erlitt der notorisch Unentschlossene, oft unwillig und trotzig sich Gebärdende die Schnellschüsse der medialen Dauer-Artillerie, wurde er zur schnöden Zielscheibe einer rücksichtslos wütenden Kamarilla, deren Salven treffsicher ins Schwarze zielten.
Sechs und mehr militärische Metaphern hintereinander in einer Passage, die nicht vom Militär oder vom Kampf handelt, drängen sich in den Vordergrund und übertönen das, worum es geht.
P.S.
Pardon für die Kritik. Aber wenn der Essay langweilig wäre, hätte ich nichts kritisiert (nichts dazu gesagt)
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