Das hintergründige Interview

Seit dem Beginn der neuen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas veröffentlicht die Aachener Zeitung AZ keine Leserbriefe mehr über den Nahen Osten. Der Grund ist einfach. Seit Jahren sind die meisten Leserbriefe in der AZ, die den Nahen Osten betreffen, extrem Israel kritisch und antisemitisch. Die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Aachen JGA befindet sich am Rand eines kleinen muslimischen Viertels, welches sich schwer bewachen lässt. In Aachen und der näheren Umgebung leben nicht nur viele Muslime, sondern auch auffällig viele Rechtsextremisten. Die Linken sind unbedeutend. Aachen ist Sitz mehrerer säkularer und religiöser pazifistischer Vereine, die den in der Kaiserstadt vorhandenen Israel- und Judenhass am Köcheln halten. Aachen möchte nicht nach Brüssel und Paris durch antisemitische Gewalt auffallen, vor allem nicht im Kaiserjahr, dem 1200. Todestag Karl des Großen, der bis heute als einer der wenigen Mächtigen Aachens zum Philosemitismus neigt.

Deshalb hält sich die Zeitung zurück.

Am Samstag, 26. Juli 2014, findet in der AZ eine vorsichtige Wende statt in Form eines beinahe eine Seite füllenden Artikels über Israel, genauer eines Interviews, den eine nette und junge Journalistin mit einem 30-jährigen jüdischen Studenten aus Israel führt, der nach seinem 3-jährigen israelischen Militärdienst seit acht Jahren in Aachen lebt und an der renommierten Universität RWTH studiert. Gleich zur Beruhigung: Der Artikel ist nicht im mindesten antisemitisch. Er ist ungewöhnlich und lässt tief in das Denken der Aachener Medien und Bürger blicken.

Der Student findet Israel wunderschön und großartig. Insbesondere gefällt ihm dort die einzigartige Gemeinschaft, die er nirgendswo anders gefunden hat. Aber Israel ist eine Ellenbogengesellschaft. Auf mehrspurigen Straßen fahren alle links, denn jeder will der Erste sein. In Deutschland ist es anders.

Schwer vorstellbar, dass ein Mensch seine Heimat verlässt, nur weil alle links fahren. Ich empfehlen dem Studenten, rechts zu überholen.

Der Student meint, dass viele Israelis nicht verstehen, wie sich die Palästinenser fühlen. Er steht nicht hinter der israelischen Politik. Er glaubt, dass für Menschen, die nicht dort aufgewachsen sind, der Konflikt nur schwer zu beurteilen ist.

Damit soll wohl ausgedrückt werden, dass der durchschnittliche Leser und Leserbriefschreiber der AZ keine Ahnung vom Nahen Osten hat und ohne jegliches Wissen drauflos schreibt. Viele Aachener glauben der arabischen Propaganda, dass Jesus ein Palästinenser aus Bethlehem ist, dem der Zugang nach Jerusalem zum Kreuzestod erschwert wird. Lage, Größe und Grenzen von Israel sind dem AZ-Leser und – Leserbriefschreiber ein Buch mit 14 Siegeln.

Der Student meint, dass wenn Israel angegriffen wird, es sich verteidigen muss. Die Angriffe der Gaza-Palästinenser auf Israel will er nicht verurteilen, da die Gaza-Palästinenser nichts zu verlieren haben. Über die Ereignisse in und um Israel ist er ständig über Facebook, Blogs und „Haaretz“ informiert, die er für eine liberale Zeitung hält. Er glaubt, dass seine Haltung „differenzierter“ ist als die, die man von Israel selber kennt. Alle seine Freunde sind gegen die Siedlungspolitik.

Nach acht Jahren Deutschland und Information über „Haaretz“, die gegenüber der AZ sowie TAZ, ND und „Freitag“ wahrlich als liberal durchgeht, ist es verständlich, dass der Student glaubt, dass die Gaza-Palästinenser nichts zu verlieren haben – außer ihre Knechtschaft von der Hamas. Es sind nicht die Gaza-Palästinenser, die Israel angreifen, es ist die Terroristenvereinigung Hamas, die die Unruhen schürt und beliebig viele Araber mordet, indem sie Israel täglich mit Unmengen von glücklicherweise meist, jedoch nicht immer wirkungslosen Raketen bombardiert. Der Student irrt sich, wenn er meint, dass seine Meinung in Deutschland anders sei als die der in Israel lebenden Juden. Israel ist ein freies Meinungsland. Jeder Einwohner verfügt über mehrere Meinungen, die sich oft widersprechen. Zwischenzeitlich ist eine israelische Friedensdemonstration gegen die Fortsetzung des Krieges gegen Gaza in Tel Aviv mit 7.000 Demonstranten abgehalten worden. Diese Zahl ist größer als die der größten Hassdemonstration gegen Juden und Israel in Deutschland. Die Versammlung ist wegen Raketenbeschuss aus Gaza aufgelöst worden.

Der Student meint, dass die deutsche Presse pro Israel ist, da man als Deutscher vorsichtig sein muss, wenn man Israel kritisiert.

Das beweist, dass er wie die meisten Israelis in Deutschland keine deutsche Zeitung liest, insbesondere nicht die AZ.

Der Student hat in Tel Aviv gelebt. Er hat weniger Angst vor Hamas-Raketen als seine dort verbliebene Familie, da er die Hamas-Raketen „rational“ betrachtet.

Der Student lässt sich nicht erkennbar ablichten. Seine Rückenansicht schmückt das Interview in der AZ.

………………..

Israel ist ein freies Land, in dem jeder seine Meinungen haben und aussprechen darf. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Israel streng zwischen Meinung und Wahrheit differenziert. Deshalb sei es der AZ trotzdem gegönnt, einen gut in die Aachener Meinung integrierten Israeli zu interviewen. Daran ist nichts antisemitisch, nicht einmal antizionistisch.

Das Auffällige am Artikel ist das Foto des Studenten, auf dem er nicht wünscht, erkannt zu werden. Denn der Name des Studenten, den ich hier nicht verbreite, ist echt. Fotos von ihm sind im Internet von jedem Ungeübten unschwer zu finden.

Das Ganze erinnert an eine wahre Geschichte, die sich vor sechs Jahrzehnten in der Sowjetunion und in den USA ereignet hat. Stalin möchte etwas gegen „Gerüchte“ unternehmen, die besagen, dass in der Sowjetunion ein strenger Antisemitismus herrscht. Er beauftragt den russischen Großrabbiner, einen Brief an das Rabbinerkollegium der USA zu schreiben, wie gut es den Juden in der UdSSR ginge. Stalin zensiert den fertigen Brief selber. Er ist mit dem Text einverstanden, der die Gerüchte über den sowjetischen Antisemitismus glaubhaft widerlegt. Nur das Postskriptum wundert den Vater aller Russen. Der Brief endet mit dem Satz „Schickt bitte Zucker und Kerzen!“

Stalin findet das Postskriptum auf einen solchen wichtigen Brief irritierend. Der Großrabbiner beruhigt den Diktator. Das Postskriptum sei real, da bekannterweise vielen Menschen in Russland, nicht allen, an Vielem mangelt. Wenn auch das Postskriptum unangenehm für den Sozialismus ist, so ist es ehrlich. Ein ehrliches Postskriptum erhöht den Wahrheitsgehalt des gesamten Briefes.

Stalin lässt sich überzeugen. Der Brief wird abgeschickt. Die Rabbiner in den USA rufen ein Rabbinerkollegium ein. Man liest den Brief und versteht ihn: Es gibt in der Sowjetunion keinen Antisemitismus. Aber was soll das Postskriptum: „Schickt bitte Zucker und Kerzen!“ auf ein offizielles Dokument. Hätte man die geringfügige Bitte nicht gesondert in einem weiteren Brief erwähnen können?

Das Rabbinerkollegium tagt mehrere Tage, ohne dass eine befriedende Antwort auf das Postskriptum gefunden wird. Am Abend des dritten Tages erhebt sich der betagte Rabbiner Groiser, ein ehemaliger Flüchtling aus Russland, und spricht:

Was ist Zucker? Süß! Was sind Kerzen? Licht! Was bedeutet, schickt Zucker und Kerzen?

Wir leben in Bitternis und Dunkelheit!

Zurück zum Aachener Interview. Was bedeutet es, dass der Israeli in Aachen kein Bild von sich machen lässt? Er hat Angst erkannt zu werden! Warum hat er Angst, erkannt zu werden? Weil er in Aachen um sein Leben fürchtet! Er befürchtet zu Recht, dass arabische Kommilitonen oder auch andere Juden hassende Bewohner Aachens mit palästinensischem, arabischen oder muslimischen Migrationshintergrund ihm Böses wollen, sollten sie ihn in der Universität oder auf der Straße erkennen.

Dieses ist auch der Grund, dass die AZ keinen Aachener Palästinenser auftreiben wird, der sich unvoreingenommen zu den kriegerischen Ereignissen um Gaza äußern wird, obwohl es in der RWTH bedeutend mehr Araber als Juden gibt. Ein gutes Wort für Israel kann in Aachen mehr als nur das Ende der Karriere bedeuten.

Nachtrag:
Rechtzeitung zum Ende des Ramadans veröffentlicht die AZ mehrere Leserbriefe, die moderat Israel kritisch, also akzeptabel antisemitisch sind. Die Normalität hat Aachen eingeholt!

Erschienen unter

https://www.freitag.de/autoren/anti3anti/das-hintergruendige-interview

http://tapferimnirgendwo.com/2014/07/28/wir-fordern-eine-faire-berichterstattung-uber-israel/

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4 Antworten zu Das hintergründige Interview

  1. Schum74 schreibt:

    Herrlich, wie Sie das Rücken-Rätsel anhand des Zucker-Kerzen-Rätsels lösen! Dafür gebührt Ihnen eine Smicha honoris causa, Rebbe Nathan.

    Die Zustände in Aachen und Resteuropa sind derart, dass nicht einmal ein anti-israelischer XY-Jude es wagen kann, sich in einer Zeitung abbilden zu lassen. Die muslimischen Dschihad-Sympathisanten sehen und merken sich: „Jude ohne Bodyguard“, noch bevor sie das Interview gelesen haben.
    Haben sie das Interview gelesen, werden sie auf jeden Fall enttäuscht sein: Kritik an Israel reicht nämlich nicht. Muss Judenhass sein. Ist es nicht Judenhass – zurück zum Gesicht auf dem Foto.

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    • Aristobulus schreibt:

      Also darf sich z.B. die Tochter Hecht (pardon für die Nennung dieses Unnamens) frontal und alleine in einer dunklen Gasse ablichten lassen, weil sie alle dschihadistischen Voraussetzungen übers Plansoll hinaus erfüllt.

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      • anti3anti schreibt:

        Fraglich. Der professionale Selbsthasser Verleger hat es so erklärt:
        Wenn ein als Jude erkennbarer Mensch mit einer pro-israelischen Meinung auf einen Araber trifft und dieser ihn verprügelt, so ist dies nicht ausreichend, um Antisemitismus zu beweisen.
        Wenn hingegen Rolf Verleger mit seiner anti-israelischen Meinung zusätzlich von diesem Araber verprügelt wird, DANN ist es Antisemitismus.
        Somit gibt es in Deutschland keinen arabischen Antisemitismus. Denn welcher Jude geht schon mit Rolf Verleger auf die Straße?

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      • Aristobulus schreibt:

        LOLst!

        Mit dem geht man nur auf die Straße, indem man mit ihm mal kurz vor die Tür gehen muss.

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