Jüdische Gedanken über nicht-jüdisches Gedenken

Dem 9. November entkommt kein Deutscher dem Gedenken. Vieles historisch Entscheidendes hat sich an diesem Tag ereignet. Am 9. November des Jahres1938 brennen Synagogen, am 9. November des Jahres1989 fällt die Mauer, die Berlin teilt. Unter der Last der beiden Großereignisse treten weniger bedeutende Ereignisse der 9. November anderer Jahre zurück.

Woran wird konkret gedacht? „1989“ an die Wiedervereinigung als Folge des Mauerfalls. Reste der einstigen Mauer sind noch vorhanden, spielen jedoch im Leben der heutigen Menschen keine Rolle. So wurde zum 25. Jahrestag eine Mauer aus weißen Luftballons aufgestellt, damit die heutigen Menschen sich ein Bild über den Verlauf der verschwundenen, für viele unüberwindbaren Grenze machen.

„1938“ wird nicht der ebenfalls nicht mehr vorhandenen Synagogen gedacht, sondern der jüdischen und zuweilen auch anderen Opfern des NS-Regimes. Täter bleiben eine Randerscheinung. „1989“ bilden die Opfer eine Randerscheinung, über Täter wird meist geschwiegen, was letztendlich gut ist. Denn so können sich einstige Täter und Opfer unter der Freude der Wiedervereinigung aussöhnen, wozu sie im Gegensatz zu Südafrika und Ruanda nicht einmal Friedenstribunale benötigen. Nur manchmal wagt ein Dissident mit jüdischen Wurzeln das Tabu in der Öffentlichkeit zu brechen und die Täter beim Namen zu nehmen, was schlimme gesellschaftliche Strafen von Linksverstehern nach sich zieht.

Die Ereignisse des 9. November der Jahre 1938 und 1989 hängen historisch zusammen, bedingen sich. Für jeden Zeitgenossen ersichtlich symbolisiert die brennende Synagoge den bald brennenden Juden. Da die meisten Juden 1938 außerhalb und östlich des Deutschen Reiches siedeln, ist zur Elimination der Juden ein Krieg Richtung Osten unausweichlich, zunächst mit, dann gegen die Sowjetunion. Der verlorene Krieg führt zur unnatürlichen Teilung Deutschlands durch die Siegermächte, mit der Absicht, einen erneuten Weltenbrand von Deutschland aus zu verhindern. Im Laufe der Zeit verlieren die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges an Kraft, die unnatürliche Teilung Deutschlands wird unter Druck der benachteiligten DDR-Bürger aufgehoben. Mauer und DDR verschwinden schnell, Ostdenken bedeutend langsamer.

Ein gemeinsames Gedenken der 9. November beider Jahre setzt sich nicht durch. Der historische Zusammenhang beider Geschehnisse wird und will nicht verstanden (werden). Am 9. November gedenkt man höchstens eines Ereignisses.

Somit bleibt „1938“ dem Gedenken der ermordeten jüdischen Opfer vorbehalten, also den toten und nicht der überlebenden Juden und deren jüdischen Nachkommen. Denn die Überlebenden und ihre Nachkommen haben den Opfer-Bonus verspielt, indem sie die arabischen Nachbarn des Judenstaates Israel mehrfach besiegt haben. Die den NS-Terror überlebenden Juden und ihre Nachkommen behandeln nach Meinung der meisten Einwohner Deutschlands die Araber schlimmer als die NS-Deutschen jemals die Juden malträtiert haben.

Doch nun taucht ein Gedenk-Dilemma auf. Sollte man betrauern, dass zu viele Juden den Holocaust überlebt haben oder eher, dass die „Reichskristallnacht“ überhaupt stattgefunden hat. Im zweiten Fall wäre ein unabhängiger Judenstaat erst gar nicht entstanden, was sicher falsch und unhistorisch gedacht ist, im ersten Fall würde sich das Gedenken allzu sehr mit der Naziideologie decken, weshalb viele der ersten Möglichkeit anhängen, ohne sie bisher auszusprechen.

Dieses Dilemma wird in der kleinen Gemeinde Vettweiß in der Voreifel nahe Köln auf revolutionärer Art aufgehoben. Als Beispiel dienen die in ganz Deutschland beliebten Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ, denen vor allem in kleinen Städten die jüdischen Mitglieder seit 1938 fehlen, womit der eigentliche Vereinszweck unerreicht bleibt und somit die Steuerbefreiung gefährdet ist. Doch die Mitglieder solcher GCJZ beharren auf ihre Mitgliedschaft, weil sie sich dadurch gut fühlen. Solche GCJZ halten deshalb einmal jährlich ihre Sitzung in einem nahen jüdischen Friedhof ab, der seit Jahrzehnten nicht mehr in Gebrauch ist. Der Ablauf der Sitzung ist zwar recht einseitig, trotzdem steuerlich anerkannt.

Nachdem einige wenige Stolpersteine des bekannten Künstlers Gunter Demnig gegen den Wiederstand der meisten Bewohner des Städtchens Vettweiß in den Boden eingelassen worden waren,

https://numeri249.wordpress.com/2014/10/31/stolpersteine/

beschließt der katholische Stadtpfarrer, am 9. November 2014 einen ökumenischen Gottesdienst mit Katholiken, Protestanten und Juden durchzuziehen. Diese Idee ist deshalb revolutionär, da für Juden ein gemeinsamer Gottesdienst mit Christen, insbesondere in einer Kirche, einen derartigen religiösen Tabubruch bedeutet, dass selbst jüdische Atheisten eine Ökumene ablehnen, ganz zu schweigen von jüdischen Agnostikern. Doch in der Voreifel-Provinz sind religiöse Vorstellungen anderer Religionen nicht bekannt. Eine evangelische Pfarrerin aus Düren ist leicht gefunden. Die Suche nach einem (jüdischen) Rabbiner gestaltet sich schwierig, da die nächstliegenden großen jüdischen Gemeinden in Köln und in Aachen Terminschwierigkeiten an solch einem bedeutenden Gedenktag vorgeben, um den Vettweißer Pfarrer nicht zu beschämen. Dieser sucht deshalb intensiv weiter. Schließlich erklärt sich eine geborene nicht-praktizierende Jüdin aus Düren, die keine Bindung an eine jüdische Gemeinde hegt, für die Stadt Düren arbeitet und einige Jahre in Israel verbracht hat, bereit, den ihr zugedachten Part zu übernehmen. Düren selbst ist mit 100.000 Einwohnern die größte Stadt in Deutschland, die keine jüdische Gemeinde aufweist.

Vettw-Kirche-1

Der ökumenische Gottesdienst beginnt pünktlich um 15:00 Uhr in der katholischen Kirche in Vettweiß. 60 heimische Beter sind zu zählen. Zuerst werden Lieder gesungen, darunter auch auf Hebräisch. Anschließend berichten Schulkinder über ihre Arbeit mit Stolpersteinen und anderen Gedenkutensilien. Dann folgen Berichte zweier Zeitzeugen über die brennende Synagoge in Vettweiß, wobei der erste Zeitzeuge damals 5 Jahre alt, die zweite Zeitzeugin noch nicht geboren war. Schließlich halten Pfarrer und Pfarrerinnen ihre Predigten, die dezent mit jüdischen Sprüchen und Witzen garniert sind. Dann betritt die geborene Jüdin den Altarraum und berichtet über ihre Kinderjahre in Ungarn unter dem Nationalsozialismus. Schließlich holt sie ein jüdisches Gebetbuch hervor und liest unter dem christlichen Kreuz ein jüdisches Totengebet auf Hebräisch vor.

Das ist der Zeitpunkt, an dem der Schreiber dieser Zeilen die Kirche verlässt.

Nachtrag wegen Korrektur:

Nicht der Pfarrer ist der Initiator der judengottlosen Gedenkfeier. Angeleiert hat sie die „Kulturinitiative in der Gemeinde Vettweiß“. Es sind die selben Köpfe, die sich ohne Rücksicht auf jüdische Gefühle für die Verlegung von Stolpersteinen einsetzen.

Hätte der Pfarrer sich geweigert, an dem seltsamen Gedenken teilzunehmen, oder hätte er lediglich die Kirche zur Verfügung gestellt, dann hätte er sich auf unangenehme Auseinandersetzungen in Vettweiß einstellen müssen, die der Pfarrer des Friedens Willen vermieden hat.

Erschienen unter

https://www.freitag.de/autoren/anti3anti/gedanken-ueber-gedenken

http://www.huffingtonpost.de/../../nathan-warszawski-/juedische-gedanken-ueber-nicht-juedisches-gedenken_b_6134412.html

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23 Antworten zu Jüdische Gedanken über nicht-jüdisches Gedenken

  1. caruso schreibt:

    Ich wäre gar nicht hingegangen. Nichts gegen christliche Menschen, nur weil sie Christen sind!
    Ich besuchte auch gern Kirchen, diese sind ja oft wunderbare Werke. Aber zum (gemeinsamen) Gottesdienst zu gehen, noch dazu bei einer solchen Gelegenheit – nein!!! Kommt nicht in Frage!
    Das sagt eine alte, gottlose Jidene.
    lg
    caruso

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    • Aristobulus schreibt:

      „… dass selbst jüdische Atheisten eine Ökumene ablehnen, ganz zu schweigen von jüdischen Agnostikern.“
      Sehr schöner Einstreu‘.

      Und er wollt’s halt wissen, liebe Caruso 🙂 , so als Schlachtenbummler. Ein Hahnenkampf hier, ein Damen-Schlammcatchen da, und zwischendurch ein jüdisch-katholischer Grausel-Mummenschanz, und wenn’s ihm schlecht wird, geht er und ist draußen weiter a frejndlicher Jid.

      Sajt gesunt

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  2. Dante schreibt:

    Ich halte einen gemeinsamen Gottesdienst von Juden und Christen durchaus für möglich – wenn es sich dabei um einen jüdischen handelt. Während aus jüdischer Sicht ein christlicher Gottesdienst eine Veranstaltung ist, bei der ein Mensch göttliche Verehrung erfährt und somit unannehmbar ist, gibt es nichts für einen Christen Unannehmbares an einem jüdischen Gottesdienst.

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    • Aristobulus schreibt:

      Stimmt, Dante.
      Nur wird’s den Gästen so verflixt schwer bis ganz unmöglich, dem gesungenen Vortrag im Siddur auch nur entferntest zu folgen, und selbst wenn man es ihnen laufend erklärt, wovon nu die Sangesrede sei, ist man dann selber zwar erbarmungsvoll, aber so Erklaerbaer, und man kann nicht mitdawenen.

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      • schum74 schreibt:

        Wer in der Schul nicht mitdawnet, tut auf jeden Fall eine mizwe: entweder weil er seinem Nachbar erklärt, wovon die Sangesrede ist, oder weil er ihn mit Neuigkeiten unterhält.

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      • Aristobulus schreibt:

        Yep. Wobei an einem Schabbes im Sommer zwei einander anschimpften, aber so richtig. Das wird auch eine Mizwe gewesen sein, weil, glaub ich, an dem Tag grad die Parsche mit Korach gelesen wurde, und die beiden haben die illustriert.

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      • schum74 schreibt:

        So weit sind die bereit zu gehen für die Erfüllung einer mizwe? Das sind schon Zadikim.

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  3. schum74 schreibt:

    Schade dass Daniel Barenboim Verpflichtungen in Berlin hatte. Mit ihm hätte die Vettweißer GCJZ einen eleganten Bogen von 9. November 1938 zum 9. November 1989 schlagen können:

    Erstens hätten die arabischen Orchestermitglieder allein durch ihre Anwesenheit das unausgesetzte Leid bezeugt, das die lebenden Juden ihren palästinensischen Brüdern antun. Das allein hätte den deutschen Kummer um den 9. November 1938 erheblich gelindert.

    Zweitens wäre die Anzahl der Juden in der katholischen Kirche vergleichsweise ins Astronomische gestiegen, was der Gedenkzeremonie ergreifende Würde verliehen hätte.

    Drittens hätte ein männlicher Jude das Kaddisch unter dem Kreuz vorlesen können. Macht sich gleich besser. Wenn schon geschmacklos, dann richtig, mit Minjan und so.

    Vielleicht kann der Pfarrer unseren Barenboim bitten, sich den nächstenTermin 2015 freizuhalten. Nächstes Jahr in Vettweiß?

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  4. anti3anti schreibt:

    Jiskor wurde ohne Gesang vorgelesen.

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    • schum74 schreibt:

      Dann eben kein Jiskor in der Kirche, aber dafür Barenboim. Man kann nicht Alles haben.

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      • Aristobulus schreibt:

        Notleidende Palästinenser, die fiedeln, während Barenboim friedenssehnsüchtig glubscht, damit man deutscherseits seine Seele und besonders seine Seelenruh wiederfindet.
        Das müsste schon einen Aachener Friedenspreis Wert sein.

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      • Gutartiges Geschwulst schreibt:

        @Aristobulus: „Notleidende Palästinenser, die fiedeln, …“

        Fiedeln? Und ich dachte, das hieße wichsen.

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      • Aristobulus schreibt:

        Das dürfen die doch nicht, Gutartiges, die müssen doch korangemäß immer die Anderen wie die Äcker behandeln. Weil sie sonst Apostaten sind und umgebracht gehören.

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      • Gutartiges Geschwulst schreibt:

        Verstehe!

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      • Aristobulus schreibt:

        … das versuch‘ ich auch grad zu verstehen, dass die so arm dran sind, so dauergedemütigt vom Jud‘, dass sie seit Monaten den Jerusalemer Vorortzug mit Felsbrocken bewerfen. Ähm, bewerfen müssen, wegen der Siedler, die ganz Jerusalem unerträglich judaisieren. Das ist der kleine Terrorismus dieser Armen, das Steineschmeißen (es ist damit Steinigung gemeint), so wie auf dem Tempelberg, wenn da der Jud‘ auftaucht.
        Der etwas größere Terrorismus sind dann die andauernden Versuche arabischer Autofahrer, jüdische Passanten totzufahren. Seit Ende Oktober passiert das laufend. Wobei doch nur der Jud‘ dran Schuld ist, dass die armen Molestinenser nur einen Hyundai und keinen Mercedes haben. Dafür gebührt dem Jud‘ doch Rache

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      • Gutartiges Geschwulst schreibt:

        Das ist es ja, was mich fassungslos macht. Dieser vollständig fehlende Gerechtigkeitssinn.

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      • Aristobulus schreibt:

        Eben. Wer kann das verstehen?, nur ein Mohammedaner kann das verstehen. Weil er nicht fragt wie zum Geier man das so machen kann, als Mensch.

        – In dieser Minute zum Thema gefunden (das passt mal wieder wie der Blitzschlag aufs Hühnerauge):

        Quotes and Notes Corner: „Stirb oder nimm den Islam an“

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  5. Jochen (Jochanan) Haritz schreibt:

    Lieber Nathan, auch wenn ich mich bisweilen an Deinen scharfzüngigen -.ich sage nicht unzutreffenden !!- Kommentaren „reibe“, wünsche ich diesem Artikel eine ganz große
    Verbreitung, weit über Deinen normalen Verteilerkreis hinaus. Kol ha-kavod!

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