Ende der Demokratie

Der Historizismus eint nicht nur Nationalsozialisten, Kommunisten und Grüne. Die Anhänger des Historizismus sind felsenfest der Überzeugung, dass die menschliche Geschichte gerichtet oder vorgezeichnet ist und einem Ziel zustrebt, sei es der Endsieg der arischen Rasse, die Herrschaft der Arbeiterklasse oder der Weltuntergang durch menschenverursachtes CO2. Diejenigen, die an das Jüngste Gericht glauben, fallen nicht zwangsläufig unter die Historizisten, da das Jüngste Gericht ein außerirdisches, also kein irdisches geschichtliches Ereignis ist.

Der Historizismus verfügt im Westen über eine breite Anhängerschaft, da die Glaubenssätze ein angenehm gutes Gefühl hinterlassen. So ist die Ansicht im Abendland weit verbreitet, dass sich Diktaturen in Richtung Demokratie entwickeln, und hat sich einmal die Demokratie verfestigt, ein Rückfall in die Barbarei der Diktatur ausgeschlossen ist. Natürlich finden sich Ausnahmen, wie die Weimarer Republik, so man nach ihnen sucht. In jeder Weltentheorie taucht ein ungebetener Störer auf, der das Haar in der Suppe aufstöbert. Bekannt sind die Interpretationen der historizistischen Journalisten und Politiker des Arabischen Frühlings, dem damals 100%-igen Wegbereiter der arabischen Demokratie, auf die wir bis heute sehnlichst warten. Während Politiker ihren Irrtum vergessen machen wollen, sinnieren viele Journalisten über übersehene Ereignisse, die das zwangsweise Eintreten der arabischen Demokratie verhindert haben. Oft trifft westliche Aggressoren die Schuld.

Nach dieser notwendigen Einleitung, kommen wir zum aktuellen Ereignis, welches auf den ersten Blick unbedeutend erscheint, jedoch über das Potential verfügt, das Ende der Demokratie in Deutschland und anschließend in Europa einzuläuten. Das unscheinbare, jedoch epochale Ereignis ist die Bürgermeisterwahl in Nideggen, welche in einem halben Jahr stattfinden soll.

Nideggen ist eine kleine Stadt in der Rureifel, welche durch Eingemeindung einiger Dörfer auf knapp 10.000 Einwohner aufgeblasen worden ist. Bisher sind zur nächsten Bürgermeisterwahl zwei Kandidaten aufgestellt: die amtierende Bürgermeisterin, die bald in das Pensionsalter eintritt, und ihr 33-jähriger Herausforderer. Die Bürgermeisterin hat die letzten Wahlen hoch gewonnen, was weniger ihrem damals nicht bekannten Können als dem allzu bekanntem Können des früheren Bürgermeisters anzulasten ist. Die Bürgermeisterin kommt weder aus einem Dorf, noch aus der Eifel. Das bedeutet, dass sie sich mit den Eifelern schlecht versteht, was in der Eifel als Unfähigkeit gedeutet wird. Der junge Gegenkandidat hingegen kommt aus der Region und hat früher in Nideggen als Stabdesbeamter gearbeitet, was ihm viele Sympathien (sic!) eingebracht hat. Sein der Eifel angepasstes freundliches und verbindliches Wesen hätte im sicher alle Stimmen der anständigen Eifeler eingebracht, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass er die Wahl zum Bürgermeister gewonnen hätte (s. Historizismus).

Nun hat der sympathische Kandidat seine Kandidatur unerwartet zurückgezogen. Als Grund gibt er, der NRW-Landesbeamte ist, an, dass er entgegen einer mündlichen Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber nicht für das Amt des Bürgermeisters freigestellt werde. Er verfüge über keine Zusage mehr, nach Ablauf der Amtszeit als Bürgermeister wieder als NRW-Landesbeamter beschäftigt zu werden. Der Verlust seines Beamtenstatus bedeute für ihn ein unverhältnismäßig hohes Risiko. Er riskiere mit 40 Jahren arbeitslos zu werden, was seinen moralischen Vorstellungen seiner jungen Familie gegenüber zuwiderlaufe.

Nun ist die zurückgezogene Zusage des Landes NRW sicherlich juristisch wasserdicht, obwohl sich der zuständige verantwortliche Beamte auch anders, also verantwortlich, hätte entscheiden können. Tatsächlich entscheidet ein unbekannter, politisch nicht gewählter oder legitimierter Beamter, wer in Nideggen kein Bürgermeister werden darf. Junge Staatsbedienstete können sich in NRW nicht um solche hohe politische Posten bewerben. Der Bürgermeisterkandidat muss also bald das Rentenalter erreicht haben oder über ein genügend hohes Vermögen verfügen, am besten beides. Es sei denn, dass das Land NRW aus Erfahrung davon ausgeht, dass sich ein Bürgermeister in seiner Amtszeit unauffällig und erfolgreich bereichert. Dieses staatliche Verhalten erinnert an eine Oligarchie, die der Leser in der Ukraine und in Russland, eventuell in Griechenland erwartet.

Wäre hier die Erzählung zu Ende, so würde der Leser betrübt den Kopf schütteln, aber keine unmittelbare Gefährdung der Demokratie erkennen. Doch die Geschichte ist nur für denjenigen abgeschlossen, der über keine detaillierte Hintergrundinformation verfügt. Ich setze somit fort.

Um Gefahren von unserer Demokratie abzuwenden, dürfte ich diesen Artikel nicht schreiben und veröffentlichen. Doch zuweilen fühle ich mich der Wahrheit verpflichtet. Außerdem ist der Vorfall in einen Zeitungsartikel in der regionalen Monopol-Presse, die gerne gelesen wird, bereits verbreitet.

Die Gefahr für die NRW-Demokratie besteht nicht darin, dass ein gesichtsloser, politisch nicht haftender Beamter die NRW-Gesetze willkürlich korrekt auslegt, obwohl er sich gefahrlos anders hätte entscheiden können. Die Gefahr für die Demokratie entsteht in der Überlegung, warum die anfängliche Zusage zurückgezogen worden ist. Diese Frage ist schon deshalb berechtigt, da die Bürgermeisterin nach eigener Aussage über ausgezeichnete und persönliche Kontakte zur NRW-Regierung in Düsseldorf verfügt, die an sich nicht zu beanstanden sind. Doch angesichts des Vorfalls muss geklärt werden, ob

A)   die Absage der Weiterbeschäftigung als NRW-Beamter zufällig, also auf die politisch und moralisch falsche Entscheidung eines einzigen unbekannten Beamten oder ob

B)    die Absage auf höheren politischen Druck durch Freunde der amtierenden Bürgermeisterin erfolgt ist.

Im ersten Fall A ist der Schaden für die Demokratie hoch, da sich ein solch undemokratisches systemisches Ereignis jederzeit wiederholen kann und wird, was sich beginnend in NRW zu einem weiten Einfallstor für politische Korruptionen jeglicher Art in ganz Deutschland entwickeln wird. Im Fall B ist der Schaden für die Demokratie eingegrenzt, da eine solche Konstellation – wie aktuell in Nideggen – selten vorkommt.

Zur Rettung der Demokratie wollen wir unsere Hoffnung auf den Fall B setzen.

Baum-sw

Erschienen unter

http://www.huffingtonpost.de/nathan-warszawski-/ende-der-demokratie_b_6730760.html

https://www.freitag.de/autoren/anti3anti/ende-der-demokratie

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14 Antworten zu Ende der Demokratie

  1. Gudrun Eussner schreibt:

    Margit Göckemeyer, SPD, aus Leverkusen. Kunkelei der NRW-SPD
    Der hauptamtliche Bürgermeister nach NRW-Kommunalrecht
    http://tinyurl.com/k7f6b9z

    Ist das juristisch geprüft? Oder linkt man einen jungen Beamten? In NRW herrscht Chaos.
    Was die Eifel angeht, so lobe ich mir „Mord mit Aussicht“, das paßt.

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  2. Hessenhenker schreibt:

    Kahles Geäst.

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  3. Gudrun Eussner schreibt:

    Hier steht der Name des ex-CDU-Kandidaten Stefan Witt und, daß Margit Göckemyer parteilos ist. Es ist nicht nachzuvollziehen, daß man ihm die Weiterbeschäftigung als Beamter bei einer Niederlage nach seiner Amtszeit verweigern kann. Das geht ja nicht mal bei Betriebsratsvorsitzenden.
    http://www.aachener-zeitung.de/lokales/dueren/wahlkampf-wer-unterstuetzt-wen-1.936633

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    • anti3anti schreibt:

      Es geht NICHT um die Weiterbeschäftigung als Landesbeamter nach einer Niederlage 2015. Es geht um die Weiterbeschäftigung nach einer Niederlage 2021, so er die Wahl 2015 gewinnt.
      2021 ist Herr Witt erst 39 Jahre alt!

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      • Gudrun Eussner schreibt:

        Ja, das habe ich so formuliert: bei einer Niederlage nach seiner Amtszeit, steht da. Und es geht darum, ob man einem Beamten dann das Beamtenverhältnis kündigen kann. Das wäre juristisch zu prüfen. Beamte sind unkündbar, oder hat sich da in den letzten Jahren etwas geändert?
        Er könnte ohne Fortzahlung der Bezüge beurlaubt werden, das ist gängige Praxis.

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      • anti3anti schreibt:

        Er ist NRW-Landesbeamter. Da gelten andere Richtlinien.

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  4. schum74 schreibt:

    Zur Rettung der Demokratie schlage ich folgende, gesetzlich zu verankernde Regelung vor: In allen strittigen Fällen wie dem oben geschilderten soll ein vom Land frei zu stellender Kandidat mit muslimischem Hintergrund verpflichtet werden. Da rassistisches Verhalten der ethnischen Wähler nicht auszuschließen ist, muss überdies bei Wahlniederlage finanzielle Entschädigung gesichert werden.
    In diesem Sinne, in Nideggen und überall in Deutschland: Der Beste gewinne!

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  5. Gutartiges Geschwulst schreibt:

    „Er verfüge über keine Zusage mehr, nach Ablauf der Amtszeit als Bürgermeister wieder als NRW-Landesbeamter beschäftigt zu werden. Der Verlust seines Beamtenstatus bedeute für ihn ein unverhältnismäßig hohes Risiko. Er riskiere mit 40 Jahren arbeitslos zu werden, …“

    Was für eine beschissene Kreatur! Mögen die Geier seinen Schwanz fressen.

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  6. Dante schreibt:

    Besonders interessant finde ich, dass wider Erwarten gerade nicht die Einflussnahme von oben als größere Gefahr für die Demokratie gesehen wird, sondern die so einsame wie willkürliche Entscheidung eines einzelnen Beamten.

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    • anti3anti schreibt:

      Sicher. Allgemeine Korruption ist schlimmer als die punktuelle. Punktuelle Korruption ist wie jedes andere punktuelle Verbrechen kein Widerspruch zur Demokratie.

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  7. monieka schreibt:

    Das bedeutet ja dann wohl, daß Arbeiter, Angestellte und Kleinunternehmer, eher nicht Bürgermeister werden können, denn die alle bekommen keine Garantie auf Weiterbeschäftigung.

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  8. Tegtmeier schreibt:

    Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!

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