Die Juden von 1670 und das Massaker

Die Juden von 1670 und das Massaker

Ein Gastbeitrag von Robert Cohn

www.robertcohn.net

1.

Ein Antiquitätensammler ist merkwürdig, selbst wenn er nur wenige Antiquitäten sammelt. Er hat dann ein paar merkwürdige Antiquitäten, die ihn an seine eigene Merkwürdigkeit erinnern. Wenn er auf die jedoch keine Lust hat, weil er sie ja schon kennt, versucht er, aus den Merkwürdigkeiten seiner Antiquitäten Schlüsse auf die Merkwürdigkeit der Welt überhaupt zu ziehen. Weil er die noch nicht genug kennt. Selbst wenn es dabei um Judenhass geht, und selbst wenn er glaubt, den zu kennen. Judenhass herrscht seit zweitausend oder dreitausend Jahren, man kennt ihn zwar, und noch immer ist er nicht erklärt. Obwohl er seit zweitausend oder dreitausend Jahren erklärt wird, indem man den Menschen dem Menschen erklärt.

Ich bin ein Klein- und Kleinst-Antiquitätensammler. Fast immer, wenn ich mir eine weitere merkwürdige Kleinantiquität leisten kann, schlage ich merkwürdig gern zu. Besonders bei Gegenständen ohne Judenhass darin oder daran. Um mir oder Anderen deren Merkwürdigkeiten zu erklären, diese oder jene.

Auf meinem Wohnzimmertisch steht dieser Kerzenleuchter aus Bronze, gegossen etwa 1640 in Paris (er kostete bei einer merkwürdigen Auktion ganze 39 Euro und ein paar Zerquetschte, so merkwürdig zerquetscht sind selbst die Preise!, wenn sonst Keiner sowas haben will), aber ich wollte ihn haben.

Er erklärt viel.

Weil er, merkwürdig!, eine Menschengestalt ist.

Egon Friedell, der äußerst merkwürdige Wiener Jid mit dem Weltgeschichte-Schreibwahn, der tausendvierhundert Seiten Dünndruck voller exzessiver Détails über die Kulturgeschichte der menschlichen Merkwürdigkeiten vollgeschrieben hat, bis er sich dann 1938 beim fröhlichen Einzug der Großdeutschen kleinlaut aus seinem Wiener Fenster gestürzt hat, schrieb über den Menschentypus „der Barocke“, also des siebzehnten Jahrhunderts, da habe der monadische Menschentypus vorgeherrscht. Also der Einzelne (so singulär einzeln, wie es der Philosoph Stirner zweihundert Jahre später auf die Spitze trieb), ein Descartes-Typus gedankenschwer und präzis, ein Claude Lorrain mit Sehnsucht nach dem perfekten Moment im Sonnenuntergang in der Mitte der Welt, ein Leibniz randvoll mit Universalität und Mathematik und Vernunft und Gründer von Wissenschaftsakademien, ein Newton, der die Physik mit Licht erfüllt hat, ein Blaise Pascal renaissancevollendend, ein Spinoza mit mächtigen Illusionen über den ethischen Wert von Natur, ein Condé alles erobernd und nichts behaltend, ein Gryphius illusionslos, eine Marquise de Sévigné randvoller Eloquenz und Beobachtungsgabe, eine Madame de Lafayette mit marmorn kostbaren Spott, ein Salvator Rosa mit wuchernden Baumriesen, ein Rembrandt in der Nacht mit Fackeln, ein Caravaggio fern jeder Blässe, ein Lully mit empfindsamer Dramatik und Dauerfeuerwerk musikalischer Ideen, ein Molière menschlich unbestechlich: Einzeln, einsam, selbstherrlich, ehrenhaft, auf unabhängige und voraussetzungslose Weise den Kern der Dinge suchend und beschreibend und ihn berechnend und gleichzeitig über ihn spottend, nie sicher ohne Unsicherheit, stolz jede Herausforderung suchend, keinem Genuss abgeneigt. Ein reales Idealbild.

Diese Gebärde zeigt der Kerzenleuchter.

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Er steht auf einem breiten, runden, ausschwingenden Fuß, wie man mitten im siebzehnten Jahrhundert mitten auf der Welt breitbeinig lebte. Der Fuß ist kein Klotz, er verbraucht grad so viel Standfläche wie nötig, viel, aber nicht im Übermaß, ohne Eitelkeit, und er geht in die Lende über. Einer muss breit und sicher stehen, um oben die Wolken und Sterne zu sehen.

Kein Bauch im Weg. Oh, es gibt Kerzenleuchter mit Bauch!, manche (etwa die aus dem schlimmen neunzehnten Jahrhundert) bestehen aus nichts Anderem als Bauch, Rüschen und Speckfalten. Aber nicht im stolzen siebzehnten Jahrhundert. Da hatte man zwar real Bauch, ja nicht zu knapp, etwa so wie Balzac viel später, der als Typus oder als Idealbild so gut ins siebzehnte Jahrhundert passt: Mächtig nur für sich selbst, einsam, voraussetzungslos, akribisch, spöttisch gläubig bis zum Ende, ohne Kitsch und Redundanz und geistigen Schwabbel.

Der Kerzenleuchter von 1640 hat keinen Bauch. Er denkt wohl ‚Gedärm‘, aber er zeigt keins. Er reckt sich kräftig bis zur Schulter hoch, da wird er kugelig. Warum: In den Schultern schlägt das Herz, es schlägt in einer Kugel, im siebzehnten Jahrhundert sind wir alle Monaden, Kugeln, die durchs All rasen, um es in sich selbst zu enthalten, und um in kühler Heißblütigkeit die Sterne anzusehen und sie zu bezweifeln.

Darüber eine breite Kehlung, der Hals: Keine Einschnürung, kein Gewürge, ein großzügiges Schwungnehmen für die Haltung des Kopfes. Der ist mächtig, nahezu so breit wie die ganze Brust, mit Ringen graviert in unregelmäßigen Abständen, jeder Abstand ist verschieden, weil ja die Gedanken darin frei sind, und weil sich die Ideen unabhängig schichten in diesem Kopf. Er zeigt eine ideale Zylinderform, er wiederholt aufstrebend die Breite des Standfußes, er übersetzt die Breite von unten in die Krönung des Ganzen.

Dort hinein kommt die Kerze, der Geist leuchtet im siebzehnten Jahrhundert aus dem Kopf, um das All zu erleuchten. Der Kopf ist die Monade, und die Monade ist das ganze All. Ob das All da draußen es nun sieht oder nicht.

2.

So weit das Idealbild. Jetzt zum Zerrbild, zu dieser anderen Kleinantiquität: Ein Kupferstich aus einem Buch mit Juden darauf. Er hat mich bei einer obskuren Auktion 10 Euro und ein paar Zerquetschte gekostet. Der Kerzenleuchter widersteht der Zerquetschung, er ist aus einem Guss, zu massiv und zu monadig zum Zerquetschtwerden: Während die Leute auf dem Kupferstich Zerquetschte sind. Weil es im siebzehnten Jahrhundert ja ums Zerquetschtwerden ging. Pausenlos. Deshalb malte Claude Lorrain seine glühenden sehnsuchtsvollen Sonnenuntergänge aus der Mitte der Welt, weil man sich sonst überall gegenseitig zerquetschte. Er wollte da hinaus, aufs Meer, das er gemalt hat in glühend schwebenden Farben bis in die Unendlichkeit.

Deshalb schrieben Descartes und Pascal ihre glasklaren, détailversessenen, analytischen und endlosen Seiten, denn nichts zu schreiben bedeutete, zerquetscht zu werden: Von selbstherrlichen Fürsten, vom großen Condé und seinen alles niederwalzenden Heeren, ja von Wallenstein, dem geistvollen, polyglotten, genialen Strategen („Feldherr“ sagen die Gutfinder) und Warlord, der nur Warlord gewesen ist, trotz aller Bildung und trotz aller Gewandtheit ausschließlich Warlord („der Krieg ernährt den Krieg!“), Wallenstein und Tilly, die Massaker befahlen und sie genossen, weil sie Massaker mitten im Genuss wollten, den vollen Genuss im vollen Massaker, unaufhörlich.

Deshalb ist Baruch de Spinoza von der Ethik seiner Väter abgefallen, aus gut gemeintem, aber überheblichen Widerspruch zum Faktischen: Weil er lieber eine illusionäre, weil rechtfertigende und relativierende Ethik der Natur wollte als den schwierigen, angefeindeten, talmudisch-fundamentalethischen Widerspruch zu den Gräueln der Urwaldnatur.

Deshalb spiegelt sich in der überwältigenden Galerie des Glaces im Schloss von Versailles nur dieser Saal selbst in endlosen Spiegeln, 73 Meter lang, überwölbt von der gedankenvollen Pracht der Fresken von Le Brun, die nur die Majestät zum Thema haben, fortwährend die Majestät immerfort in ihrer Gloire. Weil hundert Meter jenseits der 357 gloriösen Spiegel immerfort Massaker herrschten mitsamt la Gloire.

Dagegen steht der Kerzenleuchter von 1640, Lorrains Todesjahr, wenige Jahre nach der sinnlosen, völligen Vernichtung der Großstadt Magdeburg mitsamt dreißigtausend Einwohnern mitten im Dreißigjährigen Krieg durch die prächtigen Warlords Tilly und Pappenheim: Er steht wie eine Eins und sieht sich das alles an, schätzt es ab, schätzt es ein, ohne sich zu beugen.

Was ist die Eins: Die Eins ist einsam ohne ein Gegenüber, ragt für sich selbst, ist Herr ihrer selbst, weil sie Herr über nichts ist. Die Eins zeigt, wer sie ist, sie steht neben dem Massaker und sieht es sich an, und es ist ihr egal, ob einer hinsieht, und wenn, wer.

Der Kerzenleuchter als Idealbild des Menschen des siebzehnten Jahrhunderts steht da wie eine Eins, aus Widerspruch, aus Humanismus und aus Menschlichkeit, weil diese Massaker und wieder Massaker nicht der Wirklichkeit letzter Schluss sein konnten. Obwohl Heraklit, auch so ein Barockmensch, einst gemeint hatte, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Er litt daran wie schon Homer.

Im siebzehnten Jahrhundert kannte man seinen Homer und seinen Heraklit, und Leibniz stellte sich hin wie eine Eins, schrieb über Wissenschaft, Mathematik, Vernunft und Philosophie tausende Seiten voll, weil er übergenug Massaker gesehen hatte.

3.

Um Massaker geht es auch auf diesem Kupferstich mit den Juden darauf.

Alle Wege führen da hin. Le Grand Siècle, das große französische Jahrhundert, war Größe und Fortschritt und Geprasse und Massaker in Einem, wobei die Massaker und das Zerquetschen überwogen: Vom Dreißigjährigen Krieg erholten sich manche Regionen erst zweihundert Jahre später.

„L’AGNEAU DE PASQUE, Exod.chap. XII – Dieu ordonna aux Iuifs de manger l’agneau de la Pasque“ – Gott hat den Juden befohlen, das Osterlamm zu essen, so die Unterschrift unter dem Kupferstich.

Er stammt von Seite 81 aus dem Buch „L’histoire du vieux & du nouveau Testament représentée avec des figures & explications édifiantes, tirées des SS.PP. pour régler les mœurs dans toute sorte de conditions, dédiée à Monseigneur le Dauphin“, „Die Geschichte des Alten und des Neuen Testaments mit erbaulichen Abbildungen und Erklärungen, nebst Beispielen, um die Sittlichkeit in allen Lebensumständen zu ordnen, gewidmet dem Thronfolger“.

Das Buch erschien 1670 in Paris im Verlag von Pierre Le Petit. Der Autor ist Louis-Isaac Lemaistre de Sacy, Sieur de Royaumont, Prieur de Sombreval (1613 – 1684), ein bedeutender jansénistischer Theologe, Humanist, Bibelübersetzer (in 32 Bänden) und Gelehrter aus der Abtei von Port Royal in Paris, den man 1666 für zwei Jahre wegen religiöser Abweichung in die Bastille sperrte, sicher ein Bekannter oder Freund der Marquise de Sévigné.

Der Kupferstich im Querformat erstreckt sich über die Seitenbreite (18 cm), in der Mitte wurde die Seite quer abgeschnitten, wohl damit der Stich in einen Rahmen passte.

Wer hat das Buch wegen dieser Abbildungen zerschnitten?, wann? Und wer wollte sich just diesen Stich an die Wand hängen? Er muss merkwürdige Gründe gehabt haben.

Louis-Isaac Lemaistre de Sacys Bibelübersetzung wendete sich an Leser, die kein Latein konnten. Sein Französisch (die Rückseite der durchgeschnittenen Seite ist mit Text bedruckt) ist präzis, lebendig, klar. Was er sagt, steckt voller gezielter Fehler und Insinuationen, die so ihre finstere Wirkung entfalten:

„(page 82)… Pharaon se leva au milieu de la nuit saisi de la mort si surprenante de son fils; chaque maison se trouvant aussi frappée de la mesme playe, la frayeur remplit toute l’Egypte, & chacun craignit pour luy mesme ce qu’il voyoit estre arrivé au plus cher de ses enfans. On reconnut bien sensiblement en cette rencontre, que Dieu dispose comme il veut les hommes, & qu’il les contraint enfin de faire tout ce qu’il luy plaist. Pharaon qui avoit jusqu’alors resisté aux ordres de Dieu & à Moyse, fut le premier à prier le Israëlites de s’en aller. Il ne mit aucune borne au pouvoir qu’il leur donnoit, & il leur permit d’emmener avec eux tous leurs enfans & tous leurs troupeaux. Il ne leur demandoit qu’une grace, qui estoit de se haster, & tous les Egyptiens leur firent aussi la mesme priere. Mais avant que les Israëlites s’en allassent, ils firent ce que Dieu leur avoit commandé, qui estoit d’emprunter les Egyptiens des vases d’or & d’argent, ce que les Egyptiens par un secret effet de la providence de Dieu leur donnerent sans aucune peine. Ce fut ainsi qu’ils furent délivrez de cette longue captivité de l’Egypte. Ils la pillierent en quelque sorte en la quittant, pour estre ainsi recompensez de tout ce qu’ils avoient fait avec tant de travail pour les Egyptiens dans la construction de leur ville; & ils en emporterent ce qu’elle avoit de plus riche, pour marquer deslors…“ (hier Abbruch des Texts an der Schneidekante)

„Pharao erhob sich zur Mitte der Nacht, getroffen vom so plötzlichen Tod seines Sohnes; und jedes Haus fand sich vom selben Schlag der Pest getroffen, sodass Entsetzen ganz Ägypten erfüllte, und ein Jeder fürchtete dasjenige für sich selbst, was den teuersten seiner Kinder widerfahren war. Man erkannte sehr verständig an diesen Ereignissen, dass Gott über die Menschen so verfügt, wie er will, und dass er sie schließlich zwingt zu tun, was ihm gefällt. Pharao, der sich bis da hin den Befehlen Gottes und Moses‘ widersetzt hatte, bat als Erster die Israeliten zu gehen. Er gab der Macht keine Grenzen, die er ihnen verlieh, und er erlaubte ihnen, all ihre Kinder und all ihre Herden mitzunehmen. Er verlangte von ihnen nur die eine Gnade, sich zu sputen, und alle Ägypter baten sie um eben das Selbe. Aber bevor die Israeliten nun auszogen, taten sie, was Gott ihnen befohlen hatte: Die Ägypter ihrer Goldgefäße und ihres Silbers zu berauben, welche die Ägypter durch eine geheime Wirkung der Vorsehung Gottes ihnen ohne jeden Schmerz überließen. So begab es sich, dass die Israeliten aus ihrer langen ägyptischen Gefangenschaft entlassen wurden. Gewiss plünderten sie das Land beim Auszug als Entschädigung für alles, das sie mit viel Arbeit für die Ägypter beim Bau ihrer Stadt unternommen hatten; und sie nahmen die größten Reichtümer mit, um…“

Lemaistre de Sacy stellt den Pharao als überaus gnädig dar, so wie er wohl den König Louis XIV höchstpersönlich oder den Kaiser Konstantin dargestellt hätte; er schildert die ausziehenden Israeliten als reich und als unbeschädigt, und er behauptet, dass Gott alles befohlen habe. Diese individuellen Entscheidungen Pharaos und Moses, auf die es im Torahtext ankommt!, lässt er völlig unter den Tisch fallen. Er behauptet sogar, der gnädige Pharao habe die Israeliten mit grenzenloser Macht ausgestattet. Sein Hauptaugenmerk liegt auf den Ägyptern les Egyptiens und l’Egypte, sechsmal genannt), auf Gott (Dieu, viermal genannt), jedoch der Pharao (Pharaon) und die Israeliten (les Israëlites) nennt er jeweils nur zweimal, Moses (Moyse) bloß einmal, als Personalunion mit G“tt: „…Pharaon qui avoit jusqu’alors resisté aux ordres de Dieu & à Moyse“ (Pharao, der sich bis da hin den Befehlen Gottes und Moses‘ widersetzt hatte, …).

Er schreibt den Israeliten und Moses quasi göttliche Macht zu.

Lemaistre de Sacy besitzt weder einen Sinn für die Theaterdramatik des Buchs Exodus mitsamt Haupt- und Nebenrollen, noch überhaupt für die ethischen Aussagen der Torah, sein ‚Altes Testament‘, in dem ja in aller Deutlichkeit ein anrührender Bericht über Sklaven steht, die Israeliten, die von den Ägyptern so unterdrückt und bedroht werden, dass sie überstürzt fliehen müssen und nicht einmal die Zeit haben, um sich Brot einzupacken. Er verklärt diese Dinge nicht nur maßlos herrschaftlich, sondern behauptet das Gegenteil: Er malt das Bild von reichen, machtvollen, plündernden Juden.

4.

Wer sind diese Israeliten anno 1670, als Lemaistre de Sacys Buch gedruckt wurde: Man sieht sie auf dem Kupferstich.

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Auf einer Terrasse, halb erhöhter Ort über einer Stadt, halb prachtvoller Innenraum, drängen sich zehn Juden mit langen, gefährlichen Stöcken um eine Tafel. Am rechten Bildrand, perspektivisch verkleinert, kommen noch zwei herbeigerannt, um die Zwölf voll zu machen, die Anzahl der biblischen Stämme, das finstere Gegenbild zu den zwölf Jüngern Jesu.

Die beiden Juden an den vorderen Ecken der Tafel sind im Lauf abgebildet – die jüdische Hast muss emblematisch gezeigt werden, obwohl diese Laufbewegung mit einer Tischkante am Bauch physisch unmöglich ist. In der Mitte sieht man Einen mit breitrandigem Hut, durch Gestik herausgehoben und dunkler als die Umstehenden, wohl der Rabbiner, der drohend den linken Zeigefinger und das Gesicht beschwörend erhebt, während sein Nebenmann gierig die Hand auf das Objekt auf einer Servierplatte legt. Ein elendes Tier, dieses Osterlamm. Die elendeste Abbildung eines Tieres, die ich je gesehen habe. Es liegt erbärmlich auf dem Rücken, eine Pfote emporgereckt, als ob es um Schonung bäte. Es wurde ohne Gnade hingeschlachtet, dazu wohl auf grausame Weise, seine Schnauze ist deformiert. Es hat alles von einem misshandelten Kadaver, aber gar nichts von einem realen Festtagsbraten zum Pessach.

Sonnenklar, dass Kupferstecher und Buchautor nie eine jüdische Pessachversammlung von ferne gesehen haben, denn es liegt ja keine Pessach-Haggada auf dem Tisch, kein einziges Buch!, niemand sitzt, und einer der Juden trägt nicht einmal eine Kopfbedeckung. Die anderen tragen die offiziell verordneten, seit dem Mittelalter häufig abgebildeten Judenhüte. Dass jedoch ein Jude ohne Judenhut eine Kippa trug, hat der Kupferstecher nicht gewusst: Weil er keine Juden kannte. Nur deren Eigenschaften glaubte er zu kennen, er hat sie ausgiebig in den Gesichtern dargestellt: Zorn, Habgier, Hast, Undurchsichtigkeit, Lauern, Drohgebärden.

Übrigens war ganz Frankreich seit der Vertreibung aller Juden 1394 judenrein gemacht, nur im kleinen Comtat Venaissin in der Provence (päpstliches Territorium) und im von Frankreich beanspruchten und kurz darauf eroberten deutschsprachigen Elsass lebten Juden. Der Kupferstecher hat mehr die elsässischen als die provenzalischen Juden dargestellt, den Jud‘ wie von einem Steckbrief, eilig schlurfende Verhökerer, einen drohenden, unheimlichen Rabbiner und einen Zipfelbärtigen, der wohl einen Geldsack umklammert hält. Propagandistische Zerrbilder.

Keiner der zwölf Juden sitzt, alle stehen oder laufen, sie haben merkwürdige Eile, sie lungern in Bewegung um den Tierkadaver auf der Tafel. Ein sehr junges Tier – definitiv kein erwachsenes Schaf!, es hat etwas Menschliches. Dem Betrachter drängt sich die Assoziation zu einem hingeschlachteten Christenkind auf, dessen Blut laut Blutlegende die Juden für ihre Matzes brauchen. Das Opferlamm, „l’Agneau de Pasque“, es liegt zum Erbarmen hingestreckt, das ist kein Tier!, der Zeitgenosse von 1670 hätte ja nie ein leidendes und um Schonung bittendes, hingemetzeltes Tier dargestellt!, dieser Gedanke war zu der Zeit fremd und hier in dieser Bildanalyse ist er irrelevant, denn es geht um die Chiffre der Kinderblutlegende, um den Ritualmordvorwurf, mithin um das Vorspiel zum Judenpogrom. Dafür sind solche Abbildungen da.

Auch wegen der jüdischen Bibel, überhaupt wegen des jüdischen Anteils an der christlichen Bibel. Dafür hat der Kupferstecher den Satz aus Exodus XII hergenommen: „Dieu ordonna aux Iuifs de manger l’agneau de la Pasque“ – Gott hat den Juden befohlen, das Osterlamm zu essen, und er hat ihn in die rituelle Schlachtung eines Christenkindes übersetzt.

Dass er damit sogar seinem christlichen Gott eklige Dinge insinuiert, ist ihm vor lauter Eifer nicht aufgefallen. Der Judenhass überwog die Religiosität. Obwohl dieses Buch von nichts sonst als Religion handelt.

Schräg hinter dem prächtigen, zur Stadt hin offenen Raum steht eine Getreidemühle, man erkennt deutlich die Mühlsteine. Für‘s Volk von 1670 hatten die Müller mit dem Satan zu tun. Alle frühe Industrie (Mühlen, Kohlenmeiler, Rennöfen, Bergwerke usf.) galt Bauern, Bürgern, Mönchen, Damen usf. und in Ammenmärchen als vom Teufel gemacht. Diese Mühle ist deutlich mit den Juden assoziiert, Auftakt zum modernen Antisemitismus, der die Juden im Kaufen und Verkaufen, im Herstellungsprozess, im Industriebetrieb, überhaupt in der arbeitsteiligen städtischen Moderne verschworen, schädigend und alles vergiftend am Werk sieht.

Sogar eine Art Davidstern ist dargestellt, spinnwebartig als sechsteilige Glassprossen oben im mächtigen Fenster der Wand. Die in Dunkelheit versinkt, überhaupt wirft diese Wand einen mächtigen, langen, schwarzen Schatten über die Terrasse in Richtung der Stadt: Das Böse, das von den Satansjuden ausstrahlt.

Oder der Zorn G“ttes wegen der Juden, denn das Fensterkreuz wirkt wie ein gewaltiges, aufgerichtetes Christenkreuz.

So viel Bösartigkeit und Hetz‘, die dieses Bild enthält, muss einer auch erstmal gelernt haben. Er hat es sichtlich genossen. Er war ein fähiger Kupferstecher, der seine Kunst beherrschte, und was hat er daraus gemacht: Jedes Détail seiner Arbeit strotzt von Judenhass.

5.

Somit geht es auch auf dieser Abbildung um Massaker. Weil Judenhass immer zu Massakern führt. Vorher die Vorfreude, währenddessen das Fest, danach die Befriedigung. Nirgendwo auf dem Kupferstich ist ein Mensch zu sehen, kein einziger Mensch!, keine Eins!, nur zwölf Zerrbilder vom fremden, ungezieferigen, lästerlichen, bestialischen, gefährlichen, zu vernichtenden Jud‘.

So was hat der gebildete, eloquente, humanistische, belesene Gelehrte Louis-Isaac Lemaistre de Sacy für sein Buch zugelassen oder gefördert, leichtfertig oder freudig, oder nur wegen des Geldes?, hat er geglaubt, etwas Gutes damit zu tun? Seine Vornamen sind bezeichnend. Louis-Isaac, ein bourbonischer Königsname vor einem humanistisch-jüdischen Namen, der Bourbonenname steht freilich zuerst, so wie die Flagge des Siegers über der Flagge des Besiegten flattert: Der ganze, nicht enden wollende Triumph über den Jud‘ und dessen fortwährende Demütigung bloß in zwei Vornamen.

Wie erwähnt: Es lebten in allen wichtigen und Europa bestimmenden Teilen des großen, mächtigen Frankreichs zu der Zeit real überhaupt keine Juden. Seit 1394 gab es dort keinen einzigen Juden. Fast dreihundert Jahre totale Abwesenheit der Juden, jedoch der Judenhass kochte 1670 und später merkwürdig vehement wie eh und je. Auftakt und Vorfreude für weitere Massaker.

Irgendwann zweihundert Jahre später hörten die Mehrheitschristen auf, Massaker aneinander zu verüben, denn sie glaubten, nun aufgeklärt und urban und vernünftig geworden zu sein. Nur auf Massaker an den Juden wollten sie nicht verzichten. Dabei hatte es nie jüdische Massaker an den Christen gegeben.

Wie hat das Idealbild des Menschen für diesen Kupferstecher und für den Autor Lemaistre de Sacy ausgesehen? Weshalb schwebte ihnen da kein Descartes vor, kein Spinoza, kein Jean-Baptiste Lully, und warum haben sie sich nicht mit denen beschäftigt, sondern sich in dieser zwanghaften Konstruktion aus selbstentwertendem, sich selbst unwürdig machendem und korrumpierendem, billigem Judenhass gewälzt? Aus Angst. Sie schlotterten vor Angst. Wegen der Juden. Sie waren besessen von den Juden, wegen ihrer tiefen Angst, dass etwas an ihrer eigenen Religion nicht stimmen könnte. Schließlich hatte der Pharao die Juden mit endloser Macht ausgestattet, nicht? Lemaistre de Sacy, der belesene und ehrbare Theologe, war von dieser Fantasie überzeugt, obwohl er die Originaltexte kannte, in denen nichts dergleichen steht. Trotzdem glaubte er an die Lüge. Er hat dem Pharao Milde und den Juden magisch übermenschliche Macht und Plünderei angedichtet, warum? Er wollte die Illusion von den übermächtigen, mit pharaonischen Halb- und Gegengöttern verbündeten Juden nähren. Mitte des siebzehnten Jahrhunderts galt die Idee Altägypten als Chiffre für größte Macht und enormes Geheimwissen, das jeden schaudern ließ, der sich damit beschäftigte. Athanasius Kircher, der Alchemist, hat darüber hunderte Seiten vollgeschrieben. Dessen mythischer Meister der Alchemie, der Hermes Trismegistos (der die Tabula Smaragdina gemeißelt haben soll) galt als eine Art Pharao, mächtiger als Caesar, Kaiser und Papst zusammen. Wenn so ein Pharao dann den Juden Macht mitgibt, bedeutet das für den ungläubigen, weil frömmelnden und abergläubischen und fantastelnden Christen, dass er vor der unheimlichen, übermenschlichen Hypermacht der Juden vor Angst und Hass schlottern muss.

Jedoch die zwölf Juden auf dem Kupferstich tragen keine Kronen, schweben nicht über dem Boden, und sie sehen nicht wie Adonis oder wie Justin Bieber aus. Ganz im Gegenteil. Sie sind die Anderen schlechthin, abstoßend, gefahrbringend, fremd, minderwertig und das Gegenteil des edlen Menschseins.

Eben DAS ist er, der Antisemitismus, der qua fiebernder, schwarzer Fantasterei den Juden jenseitige Macht, Omnipräsenz und enormen Reichtum zuschreibt, indem er sie jedoch als Untermenschen hinzeichnet. Der traditionelle, teufelbesessene, christliche Judenhass geht hier bruchlos in den modernen Antisemitismus über.

Ferner fällt pathetische Menetekeligkeit des Kupferstichs auf. Überall sind Vorzeichen, es braut sich was zusammen, schwarze Schatten fallen über die Welt, ein großes Christenkreuz erscheint gespenstisch in einer schwarzen Palastwand wie einst in Babylon die Hand an der Wand, und zwölf unheimliche Juden rennen herbei, schänden ein hilfloses Wesen, planen Entsetzliches und beschwören das Schicksal und vielleicht den Satan. Sie sind Zerquetschte, von Gott Gehasste und zu Zerquetschende, denn so lautet die sadistische, frömmelnde, reflexionslose, selbstvergötzende, verantwortungslose Legende: Das gnadenvolle Christentum habe das gesetzesstarre Judentum längst aufgehoben, jedoch es existiere aus Eigensinn und Trotz weiter, den Christen zum Daseinswiderspruch, Gott zum Zorn und der Welt zum Hohn. Obschon die Christen alle Juden aus dem Land geworfen hatten und keiner mehr einen Juden kannte, sollte es noch immer irgendwo Juden geben. Eine endlose Schmach, zumal diese wenigen Juden noch immer ihren G“tt lieben und verehren und auf ihrem Bund beharren, der zig Millionen Christen einfach ausschließt!, diese Schmach der 98%, die sich nur durch endlose Bekämpfung der jüdischen Religionslästerung (ach, diese Zweifel an sich selbst trotzdem!) und durch endlosen Judenhass bekämpfen lässt (wobei das doch Untaten sind!, aber die Juden zwingen die 98% zur Sünde!, womit man ein armes Opfer der Juden bleibt, grad wegen der Selbstzweifel, wofür man die Juden hasst, hasst, hasst).

6.

Diese urchristlich-urdefizitäre Selbstdefinition ist erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert und seit der gelebten Moderne in den Hintergrund getreten: Und ist sofort vom nazistischen, kommunistischen und säkularisierten Antisemitismus abgelöst worden, der viel mehr Juden als je zuvor auffressen sollte. Bis auch dieser moderne Antisemitismus leiser wurde, weniger aus schlechtem Gewissen, mehr aus Überdruss und wegen verstreichender Zeit. Seitdem ist man aus Bessersein und aus Besserwissen international und menschenrechtsgläubig und für Spaß und Völkerverständigung, und man hasst Israel. Man ist ja kein Antisemit!, man hat ja nichts gegen Juden!, weil man ja kein Nazi ist, aber man hasst Israel. In Stellvertretung. Und weil ja immer was sein muss mit den Juden. Und weil die nie mit den 98% mitmachen, so wie jeder mitmacht!, sondern weil die mal wieder anders sein wollen.

Im siebzehnten Jahrhundert fühlte man sich hilflos zerquetscht wegen des unerledigten Heilsplans, denn trotz allen Flehens und Betens stellte sich die Welterlösung einfach nicht ein, obschon Jesus die Welt längst erlöst haben sollte. Unerträglich der jüdische Universalwiderspruch, da fühlte man sich so ad absurdum geführt, zu Boden gepresst und zermatscht, so ohnmächtig, dass man den schuldigen Juden ihre Fortexistenz nie verzieh. Lessings Großinquisitor: „Tut nichts!, der Jude wird verbrannt.“

Heute liegt es an Israel, dass der brüchige Weltfrieden noch nicht angebrochen ist, an Israel, dass nicht alle Menschen Brüder sind, an Israel, dass die Mohammedaner einander zu Hunderttausenden umbringen, und wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin.

Das Unerträglichste ist, dass Juden sich einfach nicht zerquetschen lassen. Die Meisten sonst lassen sich zerquetschen oder lassen sich konvertieren, unterdrücken, missionieren, vertreiben, wonach sie dann einfach zu existieren aufhören. Aber nicht die Juden. Die sind zu starrsinnig und zu verstockt, vielleicht zu reich und zu mächtig?, gar mit dem Satan und mit den Nazis und den Außerirdischen im Bunde?, denn die Juden gibt es immer noch, nach zig Ausrottungsversuchen gibt es nach wie vor Juden mit einer blühenden jüdischen Kultur und einem prosperierenden jüdischen Land. Dabei müssten die Juden seit Kaiser Titus und Vespasian längst Zerquetschte sein. Seit Pharao und seit Amalek vor dreitausend Jahren. Dann seit Papst Sowieso und Kaiser Schießmichtot, seit Nationalismus und Sozialismus und Internationalismus und Gigantismus und Brutalismus, aber es gelang nie. Selbst das dauernd überfallene und gepresste und gezwungene Land Israel lässt sich nicht zerquetschen, es gedeiht. Sauerei, diese alte Halsstarrigkeit der Juden und diese neue Selbstherrlichkeit der Israelis, sich nicht zerquetschen lassen zu wollen!

Vielleicht ist mein Kerzenleuchter von 1640 ja ein jüdischer Kerzenleuchter, denn irgendwas Jüdisches hat er definitiv, er hat dazu was von Newton und Leibnitz und von Caravaggio und Madame de Sévigné, er widersteht der Zerquetschung. Er ist aus einem Guss, zu massiv, zu trotzig und zu monadig zum Zerquetschtwerden. Er sagt Nein zum Zerquetschtwerden, obgleich alle Welt ihn nötigt, zu Allem Ja zu sagen. Er hat aber darauf keine Lust.

7.

Wir hatten zunächst das Idealbild des Menschen, der wie eine Eins dasteht, unabhängig wie Leibniz und Descartes, die mit ihrem monadischen Kopf das Weltall erleuchten: Gut dokumentiert in Selbstzeugnissen.

Dann hatten wir das Zerrbild des Menschen, den Kupferstich mit zwölf Juden, Abschaum der Menschheit, Träger von Schuld und überhaupt von Verschuldung (Juden und Geld, Juden und Macht), das projizierte Realbild von Gier, Zorn, Lauern und allgemeinem Verhängnis: Gut dokumentiert in Fremdzeugnissen, von Pogrom zu Pogrom immer wiederholt.

Nun haben wir ein Drittes. Ein Schreibzeug, ein extravagantes Ausstattungsstück, ein wohl singuläres, das ich sonst noch nirgends so gesehen habe. Es besteht aus Bronze, so breit wie zwei Hände nebeneinander mit gespreizten Fingern, es soll der Bereitstellung von Tinte, als Ablage für Schreibfedern und zur Selbstvergewisserung im Schreibprozess dienen. Es war nicht billig, obwohl ich es schamlos heruntergehandelt habe. Als es einst neu war, kostete es wohl ein kleines Vermögen. Seine Herkunft ist unbekannt, es stammt wohl aus dem Gebiet an der Loire (Tours oder Orléans, unter einem der Tinten-Einsätze steht graviert „JWV Moulins“), denn etwa 1630, als es entstand, herrschte im verarmten Paris der schwache König Louis XIII, klein gehalten und terrorisiert von widerspenstigen Regional-Mächtigen, die traditionell (so wie auch die Bourbonen selbst) an der Loire saßen, seit dem Mittelalter bis zur Zeit von Louis XIV das Zentrum Frankreichs.

Wir hatten das Idealbild, und dann hatten wir das Zerrbild. Dieses Schreibzeug, das dritte und letzte Objekt meines Essays, gilt hier als Wunschbild des Menschen, als Eskapismus, als in Bronze gegossenes Mysterium!, als Drang zu entkommen und zu herrschen, als Drang nach den änigmatischen, gefährlichen, göttlichen und ins System gebrachten Dingen jenseits der Welt, die eigentlichen, gleichbleibenden, wahren Dinge, die man versuchen muss zu beherrschen, jenseits von uferlos wechselnden Massakern, Machtkämpfen, Hunger, Straßengestank, Räubern und Soldateska, Elend, Steuereintreibern und dem Kampf für den Alltag, Dinge, die man nicht beherrschen kann.

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Zwölf Gesichter: Jeweils drei gleiche auf den drei Decken der Tintenfässer (zwei für Tinte, eins für Löschsand), drei verschiedene auf dem Corpus. Zusammengefasst ist das Ganze als frühbarocke Kartusche mit Anklängen an den italienischen Manierismus. Die Ausführung ist sehr sorgfältig, die Proportionen gelungen, jedes Ornament sitzt.

Inmitten von wohl Pergamentbändern (Voluten) sitzen auf jedem Deckel drei Gesichter: Ein Faun oder Teufel mit Hörnern, langer Nase, spitzen Ohren, Ziegenbart und dicken Lippen, eine junge, anmutige Frau, und eine ältere Frau mit ägyptischem Stirnring und hagerem Gesicht. In der Mitte des Corpus prangt inmitten erblühender Blattranken ein Kindergesicht, sehr ausgeformt, individuell, ausdrucksvoll und unkindlich – also kein Putto. Links, um 90 Grad versetzt und auf die linke Seite blickend, sitzt ein waches, bärtiges Männergesicht, vielleicht ein Portrait, vielleicht das Idealbild des Gelehrten, Alchemisten oder homme de lettres. Rechts, wieder um 90 Grad versetzt und auf die rechte Seite blickend, sitzt eine wohl schlafende, altägyptische Maske mit ägyptischem Stirnring. Ägypten galt als Quelle der Alchemie: Der Hermes Trismegistos (der dreifach mächtige Götterbote) soll dort den Stein der Weisen gemacht und die Tabula Smaragdina geschrieben haben. Über die drei Stadien Nigredo, Albedo und Rubedo (Schwärzung, Weißung, Rötung) versuchte der Alchemist, ein unedles Metall in ein edles zu verwandeln und das Eigentliche hinter der Welt zu begreifen. Ist dieser Dreischritt der Grund für die Dreierordnung der Gesichter auf den Deckeln (dreimal die gleichen) und für die Dreierordnung auf dem Corpus? Vom Gleichen aufs Verschiedene mit dem auf Pflanzendolden (Lebensprozessen) wachsenden Homunculus als Ziel? Das prägend Männliche (das Dunkle in Gestalt des Dämons, das Helle in Gestalt des Ägypters), das Weibliche, Unterstützende und Fruchtbare, als junge und als ältere, weise (ägyptischer Stirnring als Attribut der Einweihung) Frau, das Kindliche in der Mitte des Corpus, der Homunculus, ein Bild für den sich aus allen Elementen selbst neu erschaffenden Alchemisten, der nach der Rubedo als Keim im Tiegel erscheint.

Die Nigredo, Schwärzung, wenn der Dämon auftritt. Die Albedo (Weißung) in Gestalt der älteren Frau, die Rubedo (Rötung) in Gestalt der jungen. In dieser Abfolge verläuft der alchemistische Prozess. Der Alchemist begegnet seinem Dämon, dann stirbt er ab und erlangt Weisheit, dann wird er vom Weiblichen aufgenommen, das uns nun mal hinan zieht.

Die Gruppierung dieser zwölf Gesichter ist sicher nicht beliebig oder rein ornamental: Dafür ist das Ganze zu sorgfältig ausgeführt. Der Auftraggeber wusste, was er wollte. Die Gesichter folgen jedoch keinem überlieferten, dokumentierten, ikonographischen Kanon. So wenig wie die Alchemie selbst das tut, nicht? Die Papiere des Alchemisten, Mathematikers und Mystagogen John Dee (gestorben 1609) illustrieren das freie Experimentieren. Der Alchemist stellt sich inmitten der Pole aus schwerer und leichter Materie, zwischen das Männliche und das Weibliche, zwischen Erde und Himmel, er tut dies und das, er jongliert mit Zahlen, Elementen, Symbolen, Metallen und Siegeln und Feuer, er will den Homunculus erschaffen – und den Stein der Weisen. Er tut das in Freiheit.

Diese Freiheit des Alchemisten führte eine oder zwei Generationen später zum Konzept der experimentalen und gedanklichen Freiheit der Naturwissenschaft. Isaac Newton (geboren 1642), der Begründer der modernen Physik, sah sich als Alchemist.

Was hat inmitten dieses Vorspiels von wissenschaftlicher Freiheit das Gesicht des Dämons zu suchen? Es sitzt auf jedem der drei Deckel. Man muss es anfassen, um den Deckel abzunehmen und an die Tinte zu kommen. Der Alchemist, der da seine Aufzeichnungen schreiben will, fasst zweimal das Weibliche und einmal den Dämon an, bevor er den ersten Buchstaben schreibt. Das Böse ist für die Freiheit notwendig: Ohne den selbstbeherrschten Trieb zum Bösen existiert keine Freiheit.

Oben auf den Deckeln als Knauf sitzen jeweils drei symmetrische Voluten, die von oben betrachtet eine Sechserform ergeben, sechs Halbkugeln mit einer siebten in der Mitte.

Die mystische Rose als Bild für Hingebung? Die sieben Planeten als Bild der Metalle und der Tugenden?

Die drei Knäufe wirken von oben wie ein Davidstern, ergänzt zur Zahl Sieben. Das „Seal of God“ nach John Dee (heute im British Museum) hat sieben Teile: Ein kabbalistischer, vage jüdischer Bezug, passend zum Gesicht des Dämons auf dem Schreibzeug, der ohne Hörner glatt wie das Zerrbild eines Juden aussieht. Das Böse und die Juden, das Mystische und die Juden, die Freiheit und die Juden!, die Freiheit als dämonische Gefahr. Juden notwendig für die Freiheit?

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Vage Bezüge zum Judentum, die mit Symbolen arbeiten. Obwohl das Dämonengesicht die selbe Größe wie die weiblichen Gesichter hat, fällt es doch sofort ins Auge. Das Böse ist so abstoßend wie anziehend. Wenn im Grand Guignol, im Volkstheater der frühen Neuzeit oder in heilig-pathetischen Mysterienspielen der Satan auftaucht, geht’s rund, und das Publikum sagt aah und ooh und buuuh. Man zuckte halb lustvoll halb verächtlich vor dem Bösen und vor dem Jud‘ zurück, weil beides ebenso übermächtig wie wertlos erschien. Kaum jemand war in der geistigen Verfassung, um hingegen einen Shylock oder einen Macbeth zu erfinden. „The prince of darkness is a gentleman“ (Shakespeare).

Seit dem 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart taucht auf Gemälden und Illustrationen jenes typische, vom ziegenböckigen, spitzohrigen, geilen, listigen, großen Pan der griechischen Antike abstammende Teufelsgesicht als projiziertes Bild für den Jud‘ auf: Lange Nase, dicke Lippen, verborgene Macht, Seelenklau, Bosheit, Lust, lauernde Miene. Immer als Zerrbild des Jud‘, als theologischer und menschlicher Triumph über den nie genug marginalisierten und gedemütigten Jud‘, der als wimmelndes, bösartiges, aber noch immer viel zu mächtiges Gewürm dargestellt wird, der Jud‘ als der Andere, Fremde, Widerlegte, Eindringende, Beunruhigende.

Auf dem Schreibzeug hingegen steht der Dämon mit seiner jüdischen Stürmer-Fratze nicht isoliert. Er teilt sich die Deckel mit den beiden Frauen. Die Deckel lassen sich drehen, man kann dreimal den Dämon vorn haben oder dreimal eine der Frauen, oder in anderer Kombination ad libitum. Der Dämon ist Teil des Dreiergespanns. Er beherrscht es nicht, er ist weder untergeordnet noch übermächtig. Er tut niemandem etwas und ist nötig für das Ganze – im Sinne des Alchemisten, der’s mit Ganzheit und dem Kosmos hatte.

Wenn das kein früher, starker, überzeugender Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Judenhass ist, was dann?

Nicht von Ungefähr leitete die Alchemie direkt zur naturwissenschaftlichen Welt über, in deren Systemen der Judenhass keinen Platz hat.

  1. Ausblick

Die gegenwärtige Produktion von Büchern innerhalb der islamischen Welt mit ihren 1,3 Milliarden Menschen entspricht etwa der Bücherproduktion des kleinen Griechenland – jeweils im selben Zeitraum. Wenn schon dieser Kontrast grotesk ist, dann ist der um so größere Kontrast zwischen den wissenschaftlichen Leistungen der islamischen Welt und des Westens um so unglaublicher. Dort wird so gut wie nichts erdacht, nichts erfunden, nichts verbessert. Selbst die überaus politisch korrekte schwedische Akademie vergibt kaum Nobelpreise an Mohammedaner: Nicht weil sie es nicht wollen würde, sondern weil sie einfach keine Preisträger findet.

Die mohammedanischen Gesellschaften, die nicht via Aufklärung, Individualismus und Säkularismus in der Moderne angekommen sind, die aber alle fremden Errungenschaften der westlichen Moderne einkaufen und selbstverständlich benutzen, leben ihren Judenhass und ihren Hass auf Israel voll aus. Der Koran schreibt ihnen seit je her den Judenhass vor, indem laut Koran niemand unabhängig vom Islam existieren dürfe, am Wenigsten die Juden!, und der sich daraus ableitende Israelhass wird ihnen von ihren verdorbenen Imamen, korrupten Clanchefs, massakergeilen Politikern und von willfährigen Europäern um so vehementer eingeredet. Dazu kommt die mohammedanische Tradition des ewigen Krieges und der ewigen Verachtung der Anderen.

Schon das europäische Mittelalter bot Alternativen zum allgegenwärtigen Obskurantismus, zur Wissenschaftsfeindlichkeit und zum Judenhass, und seit der Neuzeit versucht man sich im Westen von tradierten Hassereien zu lösen. Manch ein Europäer ist schon so weit losgelöst, dass er glaubt, alle Menschen seien faktisch überall gleich, und man müsse nur mit Jedem verhandeln, damit ein Jeder den gleichen Teil vom Kuchen bekomme und dann glücklich nach Hause geht. Manch ein Europäer glaubt gar so abgelösterweise, dass ‚Kuchen bekommen‘ überall gleich definiert werde. So bald er mit der Nase drauf stößt, dass es nicht so ist, irritiert es ihn so fundamental, dass er es ignoriert und weiter ins Blaue verhandeln und Zugeständnisse machen möchte. Weil er an die einige Menschheit glaubt. Dass es diese einige, gleichberechtigte Menschheit aus lauter Individuen gibt, die alle menschlich gleichviel Wert sind, hat die jüdische Torah in den Zehn Geboten (Asseress Diwress, die Zehnworte) für alle Zeiten festgelegt: Das ist das jüdische Erbe des Westens. Man versucht, sich daran zu halten.

Hingegen im Islam, der weder ein jüdisches Erbe hat noch haben will, existiert kein Konzept von Menschheit: Da existiert allein die Hackordnung. Der mohammedanische Mann ist oben (indem er andere mohammedanische Männer demütigt und bekriegt), darunter steht die mohammedanische Frau mit großem Abstand, und ganz unten stehen, nein, liegen die Ungläubigen. Die man immerhin manchmal leben lassen will, damit sie Tribut zahlen. Die Juden hingegen seien zu vernichten: So fordert es der Koran, wenngleich er in dieser Maximalforderung manchmal schwankt und nicht durchgehend entscheidet, ob man die Juden nur ausplündern und vertreiben, oder sie nur vertreiben und ausplündern, oder sie nur umbringen und danach berauben solle.

Der Koran wird von Jedem wörtlich genommen, der sich als Mohammedaner bezeichnet, und nur Wenige sehen es anders. Sie haben gegenwärtig nicht den Hauch einer Chance.

9.

Hier ging es bisher um Gegenstände. Zuletzt also ein islamischer Gegenstand. Den habe ich freilich nur auf einem Foto. Es ist ein Architekturbogen, eine Archivolte, Teil einer Moschee. Zwei eng stehende Säulen stützen einen schweren, dominierenden, die vertikale Linie vernichtenden Bogen aus einem Zweidrittelkreis.

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Diese ehemalige Moschee steht in Toledo, ein Relikt aus der islamischen Besatzungszeit. Sie stammt aus dem Frühmittelalter (zehntes Jahrhundert), die Zeit, als der Formenkanon feststand – die Zeit, seit der sich im Moscheenbau der ganzen islamischen Welt für sechshundert Jahre nichts mehr bewegen sollte: Künstlerischer Stillstand.

Schwere, abgeschlossene Zweidrittelkreis-Arkaden ruhen auf zu dünnen, untergeordneten Säulen, der Raum ist wegen dieser Bogenform unproportioniert, er hat keine Richtung, er will nirgendwo hin!, die Gewichte de Raums sind ungleich verteilt, es findet kein Raum statt, man steht unter den Architektursegmenten wie in lauter Schächten. Sinnlos dicke, klobige Konsolen tragen die unarchitektonisch empfundenen, unproportionierten Dreiviertelkreis-Arkaden.

Aus. Mehr passiert nicht in diesem Raum – und mehr bietet Allah nicht?

Diese Bogenform ist kein Bild für einen Menschen, er ist ein statisches Bild für Allahu-Akbar und für die strikt hierarchische Welt-Hackordnung. Die Zone der Säulen zieht in keine Richtung, es geht überall und nirgends hin, man verirrt sich im Raum, um dann an eine Wand zu stoßen. Darüber, nicht verbunden mit der Säulenzone, reiht sich Schacht an Schacht, verbunden durch leere, abgeschlossene, unarchitektonische Zweidrittelkreis-Bögen. Kein halber Kreis, der nach unten paritätisch geöffnet und ein Bild für die Hälfte der Welt wäre, oben Himmelsgewölbe, unten die Erde. Der eingezogene Bogen ist völlig anders, er ist abgeschlossen, leer, starr, enthoben, er entwickelt sich nicht, er schließt seine eigene Sphäre ab. Er ist statisch, reiht sich in Innenräumen nur an weitere solcher Bögen, richtungslos sich in perspektivischer Leere verlierend, haltlos, und an Fassaden trägt er in starrer Reihung die schwere Wand.

Ist da sonst gar nichts?

Er ist in der Tat die einzige architektonische Form, die der Islam je erfunden hat. Alle anderen Formen, Grundrisse und Aufrisse hat der Islam von woanders übernommen. So wie die Form dieser Säulen. Die Kapitelle sind wohl römisch, sie wurden aus einer römischen Ruine ausgebaut oder aus einer demolierten Kirche entwendet, und die Säulenschäfte, wenn keine Spolien, sind mechanisch nach dem Vorbild römischer Säulen gemeißelt. Sie haben architektonisch mit dem Oberbau nichts zu tun.

Andere Bogenarkaden im islamischen Bereich bestehen oben aus einem klassischen Halbkreis: Kopien römischer und christlicher Baukunst, keine eigene Schöpfung. Oder sie sind angespitzt: Übernommen von den Sassaniden, später aus der Kreuzfahrergotik. Allein jener Dreiviertel- oder eingezogene Halbkreis, im unteren Segment offen und von zwei zu dünnen Säulen gestützt, ist eine islamische Architekturerfindung – die einzige. Weiter ist da nichts erfunden worden. Nichts!

Künstlerischer Stillstand, Un-Architektur. Bis ein paar osmanische Baumeister im 16. und 17. Jahrhundert den justinianischen Bau der Hagia Sophia von Konstantinopel übertreffen wollten. Mehmet Sinan versuchte mit seinen Schülern eine Art türkischer Renaissance einzuleiten. Es blieb ein kurzer Versuch, danach war Schluss. Obwohl Sinans und Agas Bauten vergleichsweise große Leistungen darstellen, haben sie kein Raumkonzept erschaffen, das über den frühen byzantinischen Kuppelbau (die Hagia Sophia) hinausginge. Sie gehen nach ganzen tausend Jahren sogar mehrere Schritte zurück: In ihren Bauten gibt es noch immer keine Richtung. Seit dem Anfang der islamischen Architektur stößt man nach etwas Raumgeschwebe nur auf Wand.

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Hier sind wir jetzt im 17. Jahrhundert (Agas Blaue Moschee in Istanbul). Die Reihungen der kleinen Kuppelfenster sind rein frühbyzantinisch, keine Entwicklung sollte stattfinden. Aufgegeben wurde die Raumrichtung der Hagia Sophia, deren mächtiger Zug der Kuppeln und Rhythmus aus Säulenreihen mit offenem Raum fehlen. Die bloß aufgesetzten, angeschnittenen Kuppelsegmente wirken unmotiviert, unnötig, architektonisch unglücklich, die Gruppierungen der Fenster finden keinen Rhythmus, der Blick irrt verloren durch den Raum und stößt an schwebende, dicke Wände. Dafür überzieht kalligraphischer Dekor die Flächen. Dekor!, Ornamente!, keine Gestaltung, keine Tektonik. Flächen!, keine Wände. Richtungslosigkeit!, kein Raum, der etwas wollte.

Der Bau besitzt außer Schichten von Kuppelsegmenten nicht einmal eine Fassade, die den Namen verdient. Der Innenraum ist riesengroß, er will außer Riesenhaftigkeit keinen Ort und keinen Inhalt. Ich habe ratlos darin gesessen, das Fehlen von Sichtachsen und architektonischen Bezügen erzeugt eine Illusion von immer Gleichbleibendem, eine lethargische Illusion von Präsenz ohne Realität.

Ich habe da nicht im 17. Jahrhundert gesessen!, ich habe nirgendwo gesessen.

Das soll Architektur sein?

Später baute man von Meknès über Kairo bis Baghdad wieder den abgeschlossenen Zweidrittel- oder Dreiviertelkreisbogen über zu dünnen Säulen. Mit angespitztem oder rundem Bogen. Aus. Mehr sollte nicht stattfinden. Man hat sich entschieden, dass nichts weiter stattfinden durfte.

Noch heute baut man in arabischen Ölmilliardär-Staaten gigantische Moscheen nach diesem Schema, ins Enorme gesteigert, strahlend weißer Beton mit lächerlich riesigen, unverbundenen, unmotivierten Kuppeln, innen aus lauter Gold und Marmor und Protz: Keine Architektur, keine Idee, keine Aussage!, sondern Renommieren en gros.

Das ist die Aussage. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

Vom siebten Jahrhundert bis heute entwickelt sich da nichts. Die immer gleichen Formen werden in unterschiedlicher Anordnung aufgebaut, aus. Es gab keine Erforschung der Tektonik und eine möglichst weitgehende Öffnung der Wände durch sinnlich erfahrbare Rippenkonstruktionen wie in der europäischen Gotik, und es gab keine Renaissance mit Humanismus und unabhängigem, wissenschaftlichem Geist, keinen Barock mit erstarkendem Bürgertum, durch Forschung vermehrtem Wissen und Aufblühen der Kunst!, es gab kein siècle des lumières, keinen Klassizismus mit Judenbefreiung, weiblichem Selbstbewusstsein, Aufklärung und der Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Kein Leonardo da Vinci, kein Baal-Schem-Tov, kein Michelangelo, kein Magellan, kein Descartes, kein Shakespeare, kein Lorrain, kein Newton, kein Leibniz, kein Händel, kein Tiepolo, kein Piranesi, kein Moses Mendelsohn, kein Rebbe Nachman, kein Voltaire, kein Mozart. Kein Benjamin Franklin und Abraham Lincoln weit und breit, keine Sklavenbefreiung. Es gibt da bloß die Scharia, die Hadithe und die Imame und die Clanchefs und den dauerempörten Krieg Aller gegen Alle und den unstillbaren Hass auf Israel, es gibt da bloß den postnazistisch-islamistischen Sayyid Qutb und die immer wiederholten, mal so und mal so kombinierten Reihungen aus Bögen mit leerem, eingezogenem Zweidrittelkreis, das unheimliche, bildlose Bild für jenes Allah-Wesen, das den Menschen nichts als die Forderung zur Unterwerfung unter das absolute Nichts hervorbringen lässt.

Da ist kein Bild für einen Menschen, kein individuelles Ding, das da steht und sich das All betrachtet. Da ist nur die architektonische Evokation eines unerreichbaren, starren, abgeschlossenen Einzelgottes in großer Höhe, der sich alles unterwerfen will und keine menschliche Ethik und keinen unabhängigen Geist zulässt. Der unterworfene, in der Umma aufgehende Einzelmensch muss sich unten an die Wand drücken, derweil ihn eine sinnlose Kuppel und der leere eingezogene Halbkreis ansehen. Damals aus gestohlenem Stein, heute aus vergoldetem Beton.

Wie soll eine Kultur, die den Menschen und das Weltgebäude so sieht, jemals zu einem naturwissenschaftlichen, rechtlichen, forschungsfrohen, innovativen, individuellen Selbstverständnis kommen – – frei von Massakern und frei von Judenhass?

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255 Antworten zu Die Juden von 1670 und das Massaker

  1. schum74 schreibt:

    Auch zum Thema Rauschmittel kann ich Substantielles beitragen. Hier zufällig entdeckt: die Produktbeschreibung zu dem Buch von Nicole Singler, „Die Geschichte des Kaffees mit dem Schwerpunkt Berliner Kaffeehauskultur“, GRIN Verlag 2006:

    1669 schrieb Madame de Sévigné: „Das Kaffeetrinken ist eine Mode, die ebenso wie der moderne Schriftsteller Racine der Vergangenheit anheimfallen wird.“.
    Diese Hausarbeit wird untersuchen, ob Madame de Sévigné Recht behielt, oder ob sich der Kaffee-Kult doch noch erhalten hat. Denn gesicherte Quellen darüber, wer den Kaffee entdeckte und wo dies geschah, gibt es nicht.
    Sicher ist, dass es schon ein langer Weg war, bis der Kaffee seinen heutigen Namen hatte. Chaube, caova, coffee, kavak, qahwah, kahveh waren alles Namen für den fertig zubereiteten Kaffee. Und auch die Bohne und der Strauch besaßen im 16. Jahrhundert viele unterschiedliche Bezeichnungen wie z. B. Bun, Buna, Bunc. Erst ca. 200 Jahre später setzten sich die heutigen europäischen Begriffe durch.
    Eigenschaften wie Wachheit, schnelles Reaktions- und Kombinationsvermögen sind Ursache und Anlass dafür, dass der Kaffee Einzug in die bürgerliche Gesellschaft hielt und Bier und Wein von der täglichen Getränkekarte verdrängte.

    *macht sich einen Kaffee*

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    • levrak schreibt:

      So ein Zufall!
      Habe mich heute Abend mit einem Albaner, einem Iraner, einem Griechen und einem Syrer über verschiedene Formen der Kaffeezubereitung unterhalten.
      Ich verriet, daß ich die arabische Zubereitung bevorzuge, wenn ich richtig guten Kaffee möchte, aber es mir meist bequem mache: instant coffee, now! 😀 A.mOr.

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      • Aristobulus schreibt:

        Instant now, tja, die Aufgusshaftigkeit des Abklatsches. Es gab mal was Richtiges, selbst beim Kaffee. Aber da muss ja nu Granulat draus gemacht werden.

        Analog: Es ist ein denkbar großer Unterschied, ob man sich mit einem Iraner oder mit einem Perser unterhält. Es geht sehr gegen die Instanthaftigkeit der Aufgießerei, diesen Unterschied festzustellen. Just wegen des eventuellen Persers, der sich im Leben nicht mit einem Iraner verwechselt sehen möchte.

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      • Aristobulus schreibt:

        … und beim sog. arabischen Kaffee und seiner Zubereitung verhält es sich genauestens wie beim Iraner & Perser: Fein gemahlene Kaffeebohnen mit Wasser aufzukochen und die Tasse mit Bodensatz zu servieren ist byzantinisch!</strong, also alles Andere als arabisch.
        Das erste Kaffeehaus hat 1556 in Konstantinopel aufgemacht.
        Es ist also die griechische, byzantinische Weise der Kaffeezubereitung.
        Araber behaupten nur, dass diese Kaffeeweise arabisch sei. So wie Erdogan neulich behauptet hat, dass Mohammedaner Amerika entdeckt hätten.

        P.S.
        Kaffee lässt sich übrigens sehr gut polnisch machen: Normal gemahlener Kaffee, fünfeinhalb Löffel, kommen in einen großen 0,5l-Becher, kochendes Wasser darüber, bissele ziehen lassen, fertig.
        Polnischer als polnisch, das. Es zieht einem auf produktive Weise die Schtiebel aus.

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      • levrak schreibt:

        Aristobulus.
        „Instant now, tja, die Aufgusshaftigkeit des Abklatsches.“
        Wozu diese pejorativ anmutende Anmerkung von Dir?
        Meine Anmerkung an Schum ist harmlos und fröhlich, da steht nicht mehr als das.
        Warum zerreißt Du es?
        Ah, geht nur um Kaffeegeschmack, ja?

        „ Es ist ein denkbar großer Unterschied, ob man sich mit einem Iraner oder mit einem Perser unterhält…“
        Was meinst Du damit?
        Und woher weißt Du, mit welcher „Sorte“ Iraner ich redete?
        Was willst Du andeuten?

        „…ist byzantinisch!…“
        Erstens, ich schrieb von ‚Zubereitung‘, nicht von einer Zuschreibung woher dieser oder jener Kaffee ursprünglich so käme.
        Außerdem, weil Du es anmerkst, zitiere ich aus Schums Kommentar.
        (Schum, September 2, 2015 um 9:12 nachmittags).
        „Denn gesicherte Quellen darüber, wer den Kaffee entdeckte und wo dies geschah, gibt es nicht.“

        Nochmal zu „Perser, Iraner“…
        „Farsí“ ist die Sprache der Iraner.
        „Fazít“ ist die Sprache iranischer und kaukasischer Juden.
        (Ob nun per Lautverschiebung oder –wandlung mit „p“ oder „f“,
        was ändert es an bestehender Situation? )
        Im Iran, trotz allem, gibt es nicht nur „Mullahs“. Und die Leute, die den Iran verlassen (und dabei Iraner bleiben) gehen in aller Regel nicht ganz freiwillig.
        Während manche Juden (und andere noch) dort nicht ganz freiwillig bleiben…

        Zu den Zubereitungsmethoden von Kaffee, und wie Du es darstellst.
        ZB zur Zubereitung auf „arabische“ Weise, die anders geht als Deine beschriebene (die eher „türkisch, albanisch“ usw) wäre. Aber ist in Ordnung. Der eine Araber ist nicht der andere, und Byzantiner leben heute nicht mehr so viele. Und wer bist Du oder ich, um irgend Leuten die Kaffee-Zubereitung zu definieren? Ich habe nunmal was anderes dazu gelernt als Du, wie’s scheint.
        Und die Hauptsache: laß es Dir schmecken auf die von Dir bevorzugte Zubereitungsweise. A.mOr.

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      • Aristobulus schreibt:

        Vorneverteidigung auf die Fruchtlose.
        *tja*

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      • Aristobulus schreibt:

        „Wahre Ausdauer zeigt, wer sich so ausdauernd beim Reden zuhört, dass er zum Schluss alleine daherredet, über das sonst jedoch keiner. Dabei wollten wir doch zuhören?“
        La Rochefoucauld

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  2. Aristobulus schreibt:

    Was zum Aufheitern 🙂 , oh Quell in der Wüste, oh Blitz in der Kleinstadt, oh glänzender Geist in der Nacht:

    Bach hat das Konzert zwar erst zwanzig Jahre nach dem siebzehnten Jahrhundert geschrieben, aber er reflektiert in jedem Ton, was Cavalli, Marin Marais, Corelli und Purcell erreicht hatten, indem er neu und bis dato niegehört durch die Tonarten wetzt und alles nochmal neu herbeischrammt en toute légèreté, als Frage- und Antwortspiel. Großartig.

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  3. Aristobulus schreibt:

    Bachs Messe H-moll (1733):

    Anhören, Leute!, nach dem Hören weiß man mehr.
    Das programmatische Leiden des ersten Satzes (Kyrie) ist keine Rollenprosa. Bach zeichnet chromatische Kreuze in Noten, das Todeszeichen ragt bis in die Töne. Das bleischwere christliche Leiden, das nur um sich selbst kreist, obwohl es da nominell immer um einen völlig Anderen geht, um einen Juden.
    So denkbar weit kann man sich vom Judentum entfernen, obwohl es da um nichts sonst als um diesen einen Juden geht. Der da nichts Jüdisches mehr hat. Gar-gar-gar nichts.

    Wenn Bach, dieser überragend geniale Kopf, nicht so von der uferlosen Schmerzsuche und Verklärungssucht seiner seltsamen Religion besessen gewesen wäre: Was hätte der Mann alles machen können!

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    • schum74 schreibt:

      Um welchen Juden soll es hier gehen? Hier geht es um das Leid des Adonis, des Mithras, des Osiris, die aber zum Glück alle auferstanden sind.
      Da verlasse ich mich ganz auf die Aussage ägyptischer Priester, die am Rande der kornhaltigen Beete in Osirisform (Kornmumien) die Gläubigen auf die zarten Sprosse hinwiesen und freudig ausriefen: „Osiris ist auferstanden! Er ist wirklich auferstanden!“.
      Um das Leid eines Juden würde man kein solch‘ Gewese machen.
      Nein. Die Frage lautet: Drückt Bachs Kyrie das Leid der heutigen Christen aus ‒ im Irak, in Syrien, in Nigeria, in Afghanistan?
      Ich kann’s nicht beurteilen, aber Schönheit tut jedem gut, nicht?

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      • Aristobulus schreibt:

        Jaha, die Altägyptischen wussten noch, was gut schmeckt. 🙂
        Aber um die massakrierten Christen in mohammedanischen Gegenden machen nur jene ein Gewese, die daran leiden, dass es die noch immer gibt.

        … in Syrien hat der IS übrigens gestern die Tempelruine des Baalschamim gesprengt, einfach so auf’n Donnerstag. Die hatte denen nichts getan, nichts außer bis zum Donnerstag rumzustehen. Es klebte nicht mal dieses alte Hinweisschild mehr daran, Baalschamim, who the fuck is zis? Trotzdem litt der IS so daran (woran?), dass er’s in die Luft sprengte.
        Zuvor war da eine mittelschöne Tempelruine eines grad noch mittelschönen Götzen, na immerhin!, und nu ist da ebenso leere Wüsteney wie draußen d’rum.
        Wenn die immerhin Bach hörten.
        Aber nein, die hören nur wieder den Muezzin krähen.

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      • schum74 schreibt:

        Mit Bach haben’s die Mohammedaner nicht so, aber auf Goethe lassen sie nichts kommen:

        „… denn alles, was entsteht,
        Ist wert, daß es zugrunde geht;
        Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.“

        Das nehmen sie ernst, les bougres. Wie ernst, werden wir noch sehen. Einige sehen’s schon vor sich, aber das sind verkappte „Identitäre“ ‒ oder Juden. Kein Grund, sich von so einem wie Emile Touati irritieren zu lassen.

        Was schreibt er für wirres Zeug in einem offenen Brief an Eric Gozlan: « Migrants : la honte juive ? », JSSNews, 02.09.2015? Hier, herausgepflückte Sätze:

        « Au Darfour, des centaines de milliers de morts ont laissé le monde entier de marbre.
        L’Europe, nain politique, est bien embarrassée de voir affluer des centaines de milliers de gens qui pour certains fuient un danger mortel, qui pour beaucoup cherchent une situation économique meilleure. Et il est assez évident que parmi ces centaines de milliers de gens en détresse, il y a quelques milliers ou dizaines de milliers qui sont animés d’intentions destructrices.
        Pour finir sur ces migrants… Nous en avons une soixantaine de milliers en Israël, lesquels ont introduit, dans certains endroits du pays, le viol, les vols, les meurtres.
        Nous faisons donc ce que nous pouvons pour les rapatrier chez eux, en soutenant de façon efficace le développement économique des pays qui sont les leurs.
        (…) Et, pour cette raison et à mon grand regret, je ne donne pas dix ans à l’Europe avant qu’elle ne connaisse une catastrophe sans précédent historique – les grandes invasions qui menèrent l’empire romain à sa disparition sont de la petite bière à côté de ce qui s’annonce. »

        „Die großen Invasionen, die zum Untergang des römischen Reiches geführt haben, sind Peanuts im Vergleich mit dem, was sich jetzt ankündigt.“

        Quatsch! Das fängt damit an, dass die Tempelruine des Baalschamim bereits gesprengt ist. Also kann man sie nicht ein zweites Mal sprengen, nicht?

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      • schum74 schreibt:

        PS. Kleine Notiz:
        Pessimismus ist kein Makel. Entweder es stellt sich in einem Jahrzehnt heraus, dass die Befürchtungen unbegründet waren, dann gewinnen wir Alle; oder es stellt sich heraus, dass die Befürchtungen begründet waren, dann verlieren wir Alle.
        Ist es da wichtig, wer Recht hat? Und vor allem: Wird es noch wichtig sein?

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      • Aristobulus schreibt:

        … wobei Goethes Spruch nicht vom Goethen ist, nein, von Mephisto 🙂 , und also findet der Mephitische, dass das Abendland untergeht, während Goethe himself in den Sonnenaufgang reitet.
        Tja, wer ist wohl vertrauenerweckender, der gemütlich Gehörnte oder der ungemütlich Olympische?
        Was würde also unser Schiller raten?

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      • Aristobulus schreibt:

        „JebenSe wohl mal Jedanknfreiheit, Siere.“

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      • schum74 schreibt:

        🙂
        Die Jidn in Osteuropa wussten, was sie an ihrem Schiller haben.

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  4. schum74 schreibt:

    Frische Entdeckung aus einem Aufsatz von Maurice-Ruben Hayoun über Raschi (R. Schlomo Jizchaki) (JForum, 02.09.2015):

    1713, also Anfang des 18. Jahrhunderts (aber noch vor Bachs Messe in H-moll), hat ein gewisser Johann Friedrich Breithaupt Raschis Kommentare über die „großen“ und „kleinen“ Propheten (Jeschajahu, Jirmejahu, Jecheskel und tre-assar), das Buch Ijow (Hiob) und die Psalmen ins Lateinische übersetzt.

    Hier die Titelaufnahme der Universitätsbibliothek Freiburg i. Br.:

    Shelomoh ben Yitsḥaḳ; Breithaupt, Johann Friedrich [Übers.]
    Salomonis Jarchi, Rashi Dicti, Commentarius Hebraicus In Prophetas Maiores Et Minores, Ut Et In Hiobum Et Psalmos. Gotha, 1713

    (Link zum Bild unten)

    Die Übersetzungsarbeit als solche zeugt schon von Wertschätzung, nicht?
    Außerdem erfährt man in Hayouns Aufsatz, dass der Franziskaner Nicolas de Lyre (1270-1349), einer der wichtigsten Bibelkommentatoren, in seinen Postillae perpetuae Raschi zitiert. Schönheitsfleck: Nicolas de Lyre ist ein geschmadeter Jid; der Gesinnung nach Gesindel, ein Bruder der Hechtin.

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