Massenmigration in Zeiten globaler Ungewissheit
Folgen
Mögen die Ursachen der Krise komplex sein: ihre Folgen einschließlich zu erwartender Verschärfungen sind es nicht minder. Das zeigt sich bereits in voller Deutlichkeit am täglichen Durcheinander, dem eine Kaste von Spaßpolitikern nicht mehr gewachsen ist. Man lasse sich aber nicht durch die Aktualität beirren: Veränderungen, die auf lange Sicht den ganzen Kontinent und sein verbliebenes kulturelles Selbstverständnis auf den Kopf stellen könnten, verlaufen weiterhin eher schleichend, mehr unterirdisch – der hastigen Blicken fern. Wer schaut schon gern zu weit in eine ungewisse Zukunft, wenn ihn bereits die geronnene Wirklichkeit zu lauter Trugschlüssen verleitet. Er sieht, schaut er genauer hin, nur Spuren im Schnee. Sie verlaufen weder geradlinig noch voneinander getrennt, gleichen mehr einem wirren Knäul. Die Abdrücke halten sich nicht lang, denn sie verschwinden rasch unter einer feinen Decke.
Gerne wird, zwecks Kühlung überhitzter Gemüter, auf die geglückte Integration europäischer Auswanderer in USA verwiesen. Vor allem zu Beginn des vorigen Jahrhunderts drängten Massen von Menschen von der alten in die neue Welt. Eine echte Erfolgsgeschichte. Die meisten von ihnen trugen nicht unwesentlich zur kühnen Ausgestaltung dieser großen, ungebrochen Kraftstrotzenden Nation bei. Sie taten es auch aus eigener Kraft, das heißt ohne die heutzutage für selbstverständlich gehaltene Alimentierung von Oben. Das erst spät zur Gemeinschaft von mittlerweile 50 Bundesstaaten zusammengewachsene Großgebilde übertraf bei Weitem alle übrigen Nationen dieser immensen Landmasse: in puncto Wohlfahrt und Stabilität, Macht und Einfluss. Es mag seine Gründe gehabt haben das der Norden die Mitte und den Süden gemäß der vielzitierten Monroe-Doktrin in einen ´Hinterhof´ verwandelte und seine Dominanz auch global immer gebieterischer ausweitete, während er in der Wahrnehmung jenseits des Atlantik vor allem die Konturen eines vorweggenommenen ´Disney-Land´ annahm: als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Das war eine dieser Parolen die damals zogen – mächtig anzogen. Das Gros derer, die um die Jahrhundertwende an der nordamerikanischen Ostküste von Bord gingen und auch bleiben durften, half den Verheißungen nicht nur mit Herzblut nach, ihre Nachfahren krönten dieselben am Ende auch mit einer nahezu vollständigen Assimilierung. Das ist bis heute so geblieben, ganz gleich, in welchem Ghetto sich diese oder jene Gruppe von Einwanderern zusammen ballt und zunächst unter sich bleibt – da ist keiner, der sich nicht am Ende ganz selbstverständlich als Amerikaner fühlt. Der US-amerikanische Patriotismus, den wir je nach eigener Sozialisierung recht unterschiedlich bestaunen kann mit den unterschiedlichen ´Spielformen´, die sich bei uns im 20. Jahrhundert auf recht rüde Art und Weise ausgetobt haben, kaum verglichen werden. Ich bin mir sicher, dass er direkt auf besagte Einwander-Generationen zurück geht. Jene vielgerühmte, bis heute ungebrochene Vitalität speiste sich damals wohl aus einer Kraft der Verzweiflung, die dann rasch in ihr glänzendes Gegenteil umschlug und dem in Europa für übertrieben gehaltenen ´pursuit of happiness´ entspricht. Vielleicht kommt der so kitschig rüber, weil er von jenen geglaubt wurde, die ihn damals bitter nötig hatten: um zu überleben, irgendwie über die Runden zu kommen. Der Traum von einem glücklichen Leben brach sich in der neuen Welt so unwiderstehlich Bahn, weil es für die Ankömmlinge in der alten keine Auswege, nur noch den Fluchtweg gab. Übrigens kam, was den angedeuteten Zeitraum betrifft, kaum einer weil Krieg war. Hauptsächlich äußerst heftige, Hunger und Not zeitigende Wirtschaftskrisen veranlassten Iren und Italiener, Deutsche und Engländer, Polen und Russen, ihr Glück auf der anderen Seite des Atlantik zu suchen. Um ein bezeichnendes, bis heute erschütterndes Beispiel heraus zu greifen: eine simple Kartoffelfäulnis trug zwischen 1845 und 1852 zur Entvölkerung ganzer Landstriche Irlands bei. Es traf einzig und allein die armen Bauern der Region. Eine Million Menschen verreckten vor Hunger, das waren damals immerhin schon 12% der Gesamtbevölkerung. Zwei Millionen gelang es, rechtzeitig zu verschwinden. Die Entscheidung, seiner angestammten Heimat den Rücken zu kehren, um dem eigenen Leben wieder eine Perspektive geben zu können, war und ist über alle Kulturgrenzen hinweg kein Novum. Aber es waren eben hauptsächlich Europäer, die ihr Heil im weiten Westen suchten. Das Selbstverständnis dieser Menschen entstammte dem kulturellen Erbe des Kontinents und trieb drüben eigene Blüten. Damit sollen keinesfalls die Leistungen asiatischer und schwarzafrikanischer Citizen klein geredet werden, deren letztere lange Zeit ihr Los als Sklaven fristeten. Einen besonderen Fall stellen die zahlreichen Chinesen dar. Ohne ihre zähe und verlässliche Arbeitskraft wäre wohl so manches Großprojekt – das etwa im Bau von Eisenbahnlinien bestand – niemals realisiert worden.
Amerika war und ist ein großes Land. Dort stießen die frühen Einwanderer auf eine indigene Gesellschaft, deren Bevölkerung mittlerweile fast vollständig verschwunden ist. Die in großer Zahl dem muslimischen Kulturkreis entstammenden Einwanderer unserer Tage treffen in Europa auf alte, gewachsene Kulturnationen, aus deren geistiger Mitte im Grunde alles kam, was heute weltweit gelebte Realität ausmacht. Zur Jahrhundertwende drängten Menschen nach Amerika, die wirklich am Ende waren und gar nichts mehr zu verlieren hatten. Ähnliches gilt für jene, die heute zu uns strömen, aber sie haben auch ein eigenes, kaum hinterfragtes Selbstverständnis im Gepäck, das zum Teil in unversöhnlichem Widerspruch zu unserem steht – zu den Resten, die wir uns davon noch leisten. Es kommen natürlich auch solche, die mit überzogenem Anspruchsdenken zunehmend Krawall verursachen werden. Dank einer unfehlbaren Erbauung, der sich diese Menschen auf recht unterschiedliche Weise fügen, wird es auch zu ganz unterschiedlichen Auseinandersetzungen kommen, aber davon darf nie die Rede sein, spricht man gerade vom Fachkräftemangel oder der schwächelnden Demografie. Schon der unendlich widersprüchliche Begriff der Integration wird ja verwendet, als stelle er etwas Einheitliches, Eindeutiges – mit ein paar Kniffen ´Machbares´ dar.
Wer vor überzogenem Anspruchsdenken warnt ist des Teufels. Der Anspruch auf ein sofort und ohne Umschweife besseres Leben wurde allerdings in endloser Folge von den Medien angestachelt. Dementsprechend fallen die Ergebnisse aus. Schon jetzt. Auf der Insel Kos ließ sich ein ´enttäuschter´ Syrer analog vernehmen: er habe, so versicherte dieser Mann mit übellaunigem, genauer: verächtlichem Gesichtsausdruck, nicht wissen können, das man in ein Entwicklungsland einwandere. Griechen, entschuldigt euch mal bei dem! Das eine kleine Urlaubsinsel auf jähe Masseneinwanderungen wie jene, in deren Tross dieser ´Verzweifelte´ kam, unmöglich vorbereitet sein kann, weil das Land insgesamt schon am Boden kriecht, kam diesem Nörgler nicht einen Moment lang in den Sinn. Wanderten auch weiterhin Massen von Menschen über weitere Ferieninseln ein, könnte Hellas in punkto Tourismus, seinem derzeit einzigen Strohhalm, einpacken. Passend dazu packte man die ´Verzweifelten´ in riesige Luxusschiffe, damit war wohl auch das ´Geschäft´ gerettet (für die Liner-Lobby). Der Flurschaden, den tausende Flüchtlinge allein durch kilometerlange Müllschneisen, die sie auf ihren Märschen zwangsweise hinterlassen, anrichten (was schon auf Lampedusa einen Tourismus beendet hat, von dem die Bewohner einst lebten) interessierte keinen derer, die kamen und weiter kommen werden. Man kann ihnen kaum mangelnde Informationsbereitschaft vorwerfen. Der Treck fand immer neue Wege via Mobil-Funk. Der Kontakt zur Heimat brach nie ab, jedes I-Phone hat Internet und die Zapfblöcke stehen mittlerweile vor jedem Grenzposten. Sie wussten also dauernd was passierte, aber das Griechenland ein Entwicklungsland ist hatte ihnen vorher keiner erzählt. Seltsam, wenn man bedenkt, das der Fall Griechenland Monatelang die Schlagzeilen beherrschte, bevor er diskret aus der Informations-Schleife herausgeschnitten wurde.
Ich will das Schicksal derer, die in ihrer syrischen Heimat Haus und Hof, Arbeit und Familie und noch vieles mehr verloren haben und seither sicher mit schweren seelischen Schäden belastet sind keineswegs klein reden. Aber Beispiele wie diese gehören auch in´s Bild. Um beim Vergleich von eben zu bleiben: es sei im 21. Jahrhundert keinem Flüchtling mehr zuzumuten, auf einer Insel interniert zu werden, rüde zusammen gepfercht mit anderen, ohne staatliche Garantien, schnöde dem eigenen Schicksal überlassen. Ich spreche hier aber nicht mehr von Kos und den vielgescholtenen Griechen. Gemeint sind die ´alten´ USA – so verfuhr man nämlich seinerzeit auf Ellis Island mit den übermüdeten, halbverhungerten Gestalten aus Europa, die nach tagelanger, Menschenunwürdiger Überfahrt (die viele von ihnen das Leben kostete) auch weiterhin auf sich gestellt blieben. Im Grunde ist die Idee einer von staatlichen Stellen dauerhaft und lückenlos begleiteten Betreuung recht clever, wenn sie denn tatsächlich zwingend auf Integration hinausliefe. Versorgung und Vermittlung als Vorgaben, um die eigene Zukunfts-Planung besser gestalten zu können, um so also den selbstbestimmten Werdegang in einer komplexen, wiewohl chancenreichen Umgebung optimal zu justieren, am besten nahtlos – ja. Aber mit einem Kanon verbindlicher Pflichten. Von Anfang an und ohne jeden Abstrich. Diese ´Bringschuld´ (böses Wort) wird ungern beteuert oder beschworen, eher kleinlaut und am Rande erwähnt (um keinem auf den Schlips zu treten) und es war meines Wissens Cem Özdemir, der als gewählter Volksvertreter erstmals in nämlichem Zusammenhang immerhin darauf verwies. Gut möglich, dass davon bald nur noch im rechten Lager die Rede sein wird, wenn die ohnehin angespannte Situation endgültig eskaliert. Wenn eine im Ganzen noch servile bis devote, auf Abwarten und Tee trinken beschränkte Haltung in ihr Gegenteil umschlägt, dann triumphiert der Zeitgeist erneut, und die vermeintlich unverrückbaren Überzeugungen stellen sich als Luxus heraus, den man sich nunmehr nicht mehr leisten könne. Wer wollte dann noch die Mitte behaupten, also: zwischen allen Stühlen stehen?
Die Stimmung kippt. Beinahe täglich können wir das jetzt in den Zeitungen nachlesen. Es hat den Anschein, dass eine Spätsommers so umständlich wie krampfhaft herbei geredete Wellness in Flashbacks umschlägt. Die Willkommens-Kultur, ohnmächtig herbei gelogen, kommt also in der Realität an. Passend zur letzten leer gesoffenen Maß vom Oktoberfest kündigt sich nun der Novemberkater an. Die Tage werden wieder kürzer, die Sonne versteckt sich, die Natur übt sich in jahreszeitlicher Indifferenz.
Die Kommunen ächzten schon früh unter der Last willkürlicher Verteilung. Das Elend kann ohnehin jeder in seiner eigenen Stadt, seinem eigenen Bezirk – dem eigenen Dorf oder Ortsteil nachvollziehen. Der dauernd bemühte Allgemeinplatz von den Sachzwängen, nahezu immer aus taktischem Kalkül, will mir in diesem Zusammenhang sehr treffend vorkommen. Denn es wird dauern, bis die Ämter den Wust anstehender Probleme verwaltungstechnisch in den Griff bekommen haben. Das es hauptsächlich das ´Ehrenamt´ ist, dessen Kraft und Würde uns dank tapfer ihre freie Zeit opfernder Menschen bislang vor dem Schlimmsten bewahrt hat, bringt keinen alimentierten Politiker in Verlegenheit. Nicht nur diese wackeren Menschen, auch die Kapazitäten vor Ort haben sich jetzt ausgereizt. Zwar kommen langsam etwas weniger Menschen, aber zusätzlich zu den bereits angekommenen sind es nunmehr endgültig zu viele geworden, wie uns etwa der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, auf sehr einfühlsame Art und Weise klar gemacht hat. Palmer ist Grüner. Gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren. Er wird von seiner Klientel in die rechte Ecke „gedisst“. Verfahrene Verhältnisse normalisieren sich indes nur langsam. Wenn überhaupt. Das heißt für Flüchtlinge vor allem: warten. Monate werden ins Land gehen. Aber inzwischen werden wohl wenige Wochen ausreichen, bis sich die Ungeduld derer, die nach wochenlangen Märschen nun das erwünschte bessere Leben eins zu eins nachfordern in Unmut umgewandelt haben wird. Noch etwas deutlicher gesprochen: die Turnhalle wird denen bereits jetzt zum Hals raus hängen, die wollen da schleunigst wieder raus. Sie wollen, dass es irgendwie weitergeht und zwar schnell. So ähnlich lief es allerorten nach dem Auszug aus der Türkei. Nehmen sie den Fall Griechenland oder gleich Ungarn: bloß weg da, nur weiter. Nach Deutschland. Hier aber soll für die Meisten Endstation sein. Damit fangen die eigentlichen Probleme erst an.
Hast und Eile bestimmen derzeit das Bild. Immer neue Wohncontainer und Zeltstädte entstehen in immer kürzerer Zeit. Leer stehende Gebäudeteile werden zur Verfügung gestellt. Ganze Schulen mit Unterhang räumt man frei. Sport, – und Messehallen haben sich bereits mit hunderten von Menschen gefüllt. Immobilien-Scouts machen einen fetten Reibach mit Einsturzverdächtigen Bruchbuden. Mietwohnung dürfen ab sofort zwecks Eigenbedarf von einer lästig gewordenen, wiewohl angestammten Mieterschaft ´befreit´ werden (Nathan berichtete). Den meisten Sportvereinen rennen die Mitglieder von selbst weg. Wer möchte schon Beiträge zahlen, wenn er nicht mehr trainieren kann? Vor allem im ländlichen Raum gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten. Aber daran werden sich die Sportler wohl gewöhnen müssen. Es bleibt eine spannende Frage, wie man Menschen, die in den nächsten Wochen nachrücken werden, ohne ´Knautschzonen´ unter ´Dach und Fach´ bekommen will. Soll heißen: man kann diejenigen, die schon da sind, gar nicht schnell genug weiter reichen um die Nachzügler dortselbst wieder unterzubringen. Kurzfristige Geländegewinne wie die beschriebenen werden ohnehin zu echten Verlustgeschäften, wenn jene, die wir mittels Notunterbringung durch den Winter schleusen zu meutern anfangen. Sie wollen eben weder interniert noch integriert, nicht verteilt oder verhört, befragt und ´behandelt´ werden, schon die umständliche Registrierung in den Erstaufnahme-Ländern war denen lästig. Sie werden kaum Verständnis dafür aufbringen, das es nun, da sie insgesamt so viele geworden sind, erst einmal mächtig stocken muss, das also dem weiten Weg, den sie bereits hinter sich haben, ein noch sehr viel längerer, zäher und alles andere als geradliniger Pfad folgen wird, denn er wird Ecken und Kanten haben und von weiteren Schlagbäumen gekennzeichnet sein, vor denen sich weitere Massen sammeln denen sie, selbst mittendrin, schon jetzt mit Argwohn begegnen. Die ersten prügeln sich bereits, und wenn das derzeit auch Ausnahmen sein mögen, sie werden sich demnächst häufen, weil Ungeduld eben zur Unverhältnismäßigkeit verleitet: erst im Wort – am Ende in der Tat. Die hysterische Debatte um Transitzonen (Neusprech: Registrierzentren), deren Existenz nur weitere Verstimmungen, eben: Randale nach sich zöge, zeigt an, dass uns die Ideen ausgehen. Weil die Möglichkeiten schwinden. Da ist jetzt immer so viel von Engpässen die Rede. Im Moment weiß die rechte Hand nicht was die linke tut. Alle wissen nur: so geht es nicht weiter, jetzt muss sich was ändern – alle fordern nun also von allen Hilfe ein. Der dauernde Notstand wird bemüht, um so die eigene Verantwortung im Falle eines Scheiterns besser abmildern zu können. Wir haben entsprechende Gesetze, aber die werden nicht einmal erwähnt. Achten sie drauf: irgendwie ist niemand wirklich zuständig, das Chaos regelt sich selbst, dass hatten wir in Deutschland ja auch schon mal. Da wird, um nur dies Beispiel zu nennen, von zuständigen Fachbereichsleitern in meiner Gemeinde angesichts rasant steigender Flüchtlingszahlen der Bedarf von Neubauten angemeldet. Dringend natürlich. Die Milliarden lassen sich schnell locker machen, man dachte auf Bundesebene schnell über einen F-Soli nach, aber von jetzt auf gleich kloppt keine Kolonne diese neuen Wohnburgen aus der Erde. Das ist das Problem. Es gibt Grenzen, nicht nur zwischen Staaten und Kulturen. Auch die des Machbaren sind damit gemeint. Alle brauchen Zeit, aber allen fehlt sie jetzt. Der ohnehin umständliche, Kompetenzstreitende Hickhack in den Räten und Gremien, Parlamenten und so weiter geht in lauter nächste, immer längere Runden. Wer schon einmal auf kommunaler Eben tätig war weiß, dass die üblichen Ränke um Zuständigkeit und Bedarfsdeckung nicht von Helden geführt werden. Inzwischen nimmt der Ruf nach schnellen, unbürokratischen Maßnahmen weiter zu. Der ist immer verdächtig, aber er käme, gelänge der Spagat, den Neuankömmlingen so gut wie ihren ´Schutzbefohlenen´ entgegen. Lauter lästige Bestimmungen, Gesetze und Richtlinien verbauen jeden Ansatz, auf herkömmliche Art und Weise ein alles andere als herkömmliches Problem in seinen zahlreichen Facetten zu lösen. Die behördlichen ´Belästigungen´, überhaupt die amtlich verordnete ´Fremdbestimmung´ mittels Befragung, Zuweisung und Unterweisung hängt unseren Willkommensbürgern gärend zum Hals heraus, aber ohne geht es nicht, so und nicht anders läuft die verwaltungstechnische Pflicht vor der Kür. Wann waren sie das letzte Mal auf diesem oder jenem Amt? Wie lange mussten sie warten, wen trafen sie da, was gab man ihnen auf und wie oft mussten sie zurück? Geschenkt. –
Wiewohl es zynisch klingt: in den Elendsquartieren an der Peripherie gibt es diese Probleme gar nicht. Dort herrscht alimentierter Stillstand. Dort sorgen zahlreiche Hilfsorganisationen und NGO für eine leidige, zum Teil fragwürdige, immer aber direkt und flexibel gehandhabte Rundumbetreuung. Schon die Prüfung eines Asylantrages ist ein sperriges Unterfangen. Nicht nur die Mühlen der vermeintlichen oder verordneten Gerechtigkeit mahlen langsam. Da stehen uns noch mancherlei Zerreisproben bevor. Werden sich alle an festgeschriebene Bestimmungen und Verordnungen, an verbindliche Abläufe halten? Man könnte auch fragen, wann den ersten die Geduld flöten geht. Schon jetzt, beklagt der Innenminister, entscheiden viele der Neuankömmlinge im eigenen Ermessen, wo sie hinwollen und wo nicht. Machen sich, wieder einmal, auf den Weg. Man kann es ihnen fast nicht verhehlen. Der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen meinte jüngst, im Blick auf die wegen totaler Überlastung geschlossenen Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Dortmund:“ Würden das alle Städte so machen, würden die Flüchtlinge in der Gosse landen.“ Oder einfach zu ihren Verwandten weiter ziehen. Wie sie das schon seit Monaten machen, um aus Frankreich heraus zu kommen – Richtung England. Chaos allenthalben. Dass die Zahl der Flüchtlinge Länder und Kommunen an ihre Leistungsgrenze bringt, hätte sich vor drei Monaten noch übertrieben angehört. Die Verteilung nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel wird ohnehin nicht mehr wie geplant vorgenommen.
Wie auch immer: in Krisenzeiten schlägt einmal mehr die große Stunde der Vereine und Verbände (vergessen wir die Kirchen nicht). Natürlich klatschen unsere Arbeitgeber-Lobbyisten voller Vorfreude in ihre feuchten Hände. Der Heißhunger nach billiger Arbeitskraft setzt auf Profite. Den Unmut der so Umworbenen, deren etliche der gehobenen Mittelschicht angehören und schon daheim Besseres gewohnt waren, kann auch ein großzügig gespanntes soziales Netz nicht auf Dauer auffangen. Dass erledigt die Moschee viel besser. Sie kann ihn auch schüren. Kommt ganz drauf an. Aus geflohenen Syrern werden trotz umständlich bemühter Willkommens-Kultur eben keine stolzen Europäer werden. Auch wenn es blöd klingt: die vereinigten Staaten von Europa sind nicht die von Amerika. Seine Nationen finden nur auf umständlichen Schleichwegen zueinander. Seine Bürger nicht einmal das. Jede Interessengruppe vertritt ihre ganz eigenen Ansprüche, die sie im Zweifel gegen alle übrigen durchsetzt. So hartnäckig wie eifersüchtig. Warum soll das jetzt auf einmal anders geworden sein? Eine W-Kultur hat es sowieso nie gegeben. Zu keiner Zeit. In keinem Winkel dieser Erde. Zahllose recht clever inszenierte Aktionen jüngerer Zeit (erinnern sie sich nur mal an den Nuschel-Nörgler Till Schweiger) offenbaren, schaut man etwas genauer hinter die Fassade, den Eitel-Pickel derer, denen Miseren wie diese gerade Recht kommen, um ihre angestaubten Marktwerte leidig aufzubessern. Woher rührt wohl, jenseits bewährter, omni-narzisstischer Promi-Varianten, dieser auf Anhieb heimelnde, in Wahrheit obsessiv und mit viel Pathos nach außen geblähte Kult, der sich einstweilen (und nahezu ausschließlich) auf das Verteilen von Stofftierchen im Schatten endloser Blitzlichtgewitter reduzierte, während der Schacher um die so Umworbenen auf kommunaler Ebene bereits anzeigt, wie willkommen diese ´Mutti-Fans´ den vor Ort Verantwortlichen tatsächlich sind? Das sollen unsere Psychologen entscheiden. Da mag der Schweiger ne Bude spendieren oder nicht: Onkel Otto vom Klingelpütz kann ihm gerade das nicht nachtun. Der hält entweder seine Klappe oder macht bei Pegida mit. Gesamtgesellschaftlich kreuzen sich bei denen die um Ausgleich bemüht sind offenbar Vorstellungen, die einmal mehr durch multimediale Konditionierung nachfrisiert werden. Den Moralschwadroneuren kommt zugute, dass es in dieser Sache keinen Masterplan gibt: da können sie mit ihren unkonventionellen und unbürokratischen Bravourstücken einmal mehr im Kleinen vormachen, was im Großen nicht klappen kann. Es hat aber auch etwas mit siebzig Jahren Frieden zu tun, der nach zwei Weltkriegen im Schatten der Blöcke Befindlichkeiten schuf, die sich nur langsam aufbrauchen.
Wird Europa wirklich durch diesen Exodus gespalten und in seinen Grundfesten erschüttert? Geht ein weiterer Riss durch unsere Gesellschaften? Das wurde schon bis zum abwinken im Blick auf die vertagte, ehedem stündlich beklagte Finanzkrise behauptet. In Wahrheit graben sich seit Jahren tiefe Furchen in das Gebilde der 28. Vorstellungen von Nationen erster und zweiter Klasse mussten nicht erst umständlich im Zuge monetärer Ungleichgewichte herbei geredet werden. Die Voraussetzungen mögen sich ändern: die Kalamitäten bleiben dieselben. Um das mal an einem simplen Beispiel zu verdeutlichen: nun gerät die Nummer Eins – Deutschland – in die Bredouille, während das ewig bemeckerte Schlusslicht – bis gestern Griechenland – von einer Schonfrist zehrt, die sich im Schatten der Ereignisse rasant abnutzt. Das vielbeklagte Unvermögen, den nun anstehenden Aufgaben irgendwie gerecht zu werden, wird ganz von selbst zu reaktionären Renaissancen führen. Europaweit. Was ist die Union dann noch wert? Der Grund für ihr Scheitern lässt sich aber nur zum Teil aus der Aktualität ableiten. Im Grunde war schon das so unerbittlich verkündete Austeritäts-Dogma eine fatale Fehlleistung. Es ist eine makroökonomische Binse, dass gemeinsamen Währungen auch ein entsprechend abgestimmter Binnenmarkt entsprechen muss. Ohne braucht man weder die Währung noch irgendwelche Inflationsraten, an die sich am Ende sowieso keiner mehr hält. Zur Falle wird die Freihandelszone, wenn ein einziges Land als Kraftstrotzender Herkules mit sorgsam antrainierten Exporthypertrophien sämtliche seiner Abnehmer rücksichtslos an die Wand klatscht. Noch simpler gesprochen: machten es alle so wie Deutschland, bräche binnen kurzem die ganze Union zusammen. Düstere Vorahnungen überkommen den Autor, denkt er in diesem Zusammenhang an das benachbarte, kurz vor einer schweren Wirtschaftskrise stehende Frankreich, wo demnächst gewählt werden wird. Die weit verbreitete Ungewissheit nützt schon jetzt den sogenannten Rechtspopulisten um Marine Le Pen. Im Falle ihres Wahlsieges, der mir angesichts derzeitiger Entwicklungen alles andere als überraschend vorkommen möchte, könnte das über Nacht Millionen von Muslimen in Aufruhr versetzen. Le Pen will sie nach Möglichkeit alle raus haben. Hat sie immerhin freimütig geäußert. Man wird die Dame zur Not dran erinnern. Dann kommt es dicke, aber richtig. Das werden dann auch die Experten so und nicht anders vorher gesehen haben – pünktlich einen Tag nach der Wahl, wie ich annehme. Meutern Frankreichs Muslime in Masse, wird das automatisch auch in den übrigen europäischen Staaten, allen voran Deutschland, als Bedrohung empfunden. Je suis Le Pen? Wohl kaum. Überhaupt ein schlechtes Timing angesichts der sich zuspitzenden Gesamtproblematik. Es male sich jeder selbst aus, wie mögliche Tumulte in der ohnehin zerfallenden muslimischen Staatenwelt gedeutet werden und wie seine Völker darauf reagieren…
Angesichts solcher Szenarien wäre es nur natürlich, rückten die Völker Europas endlich wieder enger zusammen. Kooperation statt Konfrontation wäre das Gebot der Stunde. Pustekuchen. Länder und Nationen, Parteien und Verbände, Ministerien und Landtage, Räte und Gremien, Ausschüsse und Bürgervertretungen, ganze Stände und Schichten, unterschiedliche Bevölkerungsteile gehen gegeneinander in Stellung. Einmal mehr fällt hier wieder auf, dass jenseits hektisch verhandelter Dringlichkeiten auch weiterhin die großen Zusammenhänge vernachlässigt bzw. taktisch gegeneinander ausgespielt werden. Sie zeigen sich dann wiederum als fiese Bruchstellen im Kleinen, noch Unscheinbaren. Zahllose ökonomisch und kulturell vorprogrammierten Ränke zwischen Autochtonen und Zugewanderten, vorerst gipfelnd im Kampf um Wohnraum, dann um den sicheren Arbeitsplatz oder das Recht, den Vollschleier im Viertel anzuordnen traut sich derzeit keiner auch nur anzudeuten. Auf diesem Auge sind all jene blind, die in zynischer Manier noch immer dem Primat des Merkantilen das alternativlose Wort reden. Alles Übrige wird sich dem entweder problemlos fügen oder völlig konform dazu verlaufen. Wir kennen die Sprüche auswendig. Eine angeblich vergreisende Kerngesellschaft müsse sich freuen, dass jetzt einmal mehr williges Humankapital in´s Land ströme. Hannelore Kraft:“ Das sind die Unternehmer und Facharbeiter von morgen.“ Und die sind eben allesamt hochmotiviert, schon jetzt ordentlich ausgebildet, ihr Deutsch holen sie im VHS-Kurs nach und weil sie in Mehrzahl der bürgerlichen Mittelschicht entstammen, machen sie auch keinen Terz. Ich sehe die Chancen auch. Ich sehe ferner, dass fast alle Frauen, die im Tross der Vertriebenen mit schlurfen, ein Kopftuch tragen. Zum Beispiel. Ich sehe das, sie werden lachen, zuerst einmal als stellvertretender Fachleiter Sport a.D., der schon jetzt über steigende Zahlen zukünftiger Mahn, – und Bußgeldverfahren nachdenkt, die sich in punkto Schwänzen des Schwimmunterrichts ergeben werden. Aber es gibt ja für alles einen Weg – faule Kompromisse. Wenn Männerfreie Badezeiten in öffentlichen Bädern endgültig zur Normalität geworden sind mag man das insgesamt als kleineres Übel empfinden, aber wer diese und ähnliche Entwicklungen in die Gesamtbetrachtung mit einbezieht, wird finden, dass ein unerträgliches Zerrbild immer schärfere Konturen gewinnt. Man möchte dann auch im Einzelnen nicht mehr damit belästigt werden. Bloß keinen zusätzlichen Ärger. Mach du mal, was geht mich das an. Auch hier gilt für uns alle, die wir gestern noch im Anblick unvorstellbarer Dramen auf dem Mittelmeer das ´Wir´ bemühten: soll nicht mein Bier sein – ich habe andere Sorgen. Ein Irrtum. Und was für einer. Nimmt man diese und ähnliche Sorgen zusammen, treffen sie eben nicht mehr den einzelnen, sondern erneut alle, da schließt sich also spät ein weiterer Kreis. Eine einzige Zahl möge genügen, um zu verdeutlichen, was im Ergebnis damit gemeint sein kann. Der Tross derer, die über den Balkan und das Mittelmeer kommen, besteht angeblich zu annähernd 70 % aus jungen Männern, deren Alter zwischen Anfang und Mitte Zwanzig ist. Gehen wir davon aus, dass sie kommen, um zu arbeiten. Es grenzte an Größenwahn zu glauben, dass in Kürze allen ein angemessener Arbeitsplatz angeboten werden könnte. Nicht einmal im florierenden Niedrig-Lohn-Sektor wäre das zu bewerkstelligen. Ob die Verteilungskämpfe und Neid-Debatten, an die man sich auf ziviler Ebene bei uns längst gewöhnt hat eskalieren soll gar nicht diskutiert werden. Ich möchte lediglich schon jetzt feststellen, dass all jene jungen Männer, die vorläufig oder auf Dauer auf der Strecke bleiben im Merkel-Märchen-Ländle, die erzwungene (oder selbst verschuldete) Warteschleife nicht dazu nutzen, um deutsches Staatsrecht oder europäische Kulturgeschichte zu pauken. Umgekehrt wird ihnen dieses gestern noch verheißungsvolle, heute schon verächtliche Abendland immer verdächtiger vorkommen. Etliche von ihnen dürften ihr Heil folglich in der durch nichts und niemanden zu schmälernden Erweckung suchen, die man ihnen in den entsprechenden Moscheen und Vereinen schon eintrichtern wird. Und endlich wird auf erlösende Weise simpel, was dem Gestrauchelten gestern noch so wirr und widersprüchlich schien. Erst an diesem Punkt vollzieht sich, gnadenlos, die Integration: über sakrale Reaktion. Punkt. Ähnlich haben sich ja auch jene bekehren lassen, die harmlose Karikaturisten massakrierten. Jeder Mensch sei ein Abgrund, heißt es im Woyzeck: es schwindelt einen, schaut man hinab. Wer wagt den kühnen Blick?
Gesetzt, das Wunder geschähe und wir bekämen die Mehrzahl dieser zunächst einmal mittelllosen Menschen schleunigst in Lohn und Brot – das würde den Zustrom erst recht und über nunmehr sämtliche Grenzen hinweg anfachen. In der Umma brennt es lichterloh. Den Bevölkerungen Afrikas stehen die schlimmsten Exzesse noch bevor. Immer mehr Länder der dritten Welt bluten aus. Aber der Aderlass presst potentielle Lohnsklaven aus sich heraus, er macht also Sinn: die Milliarden für den Wideraufbau drüben können die Millionen hüben locker ´zurück-erwirtschaften´. Was für eine großartige Version der Zukunft. Um es noch etwas schärfer zu formulieren: wenn alle Hungerleider und Kriegsvertriebenen der Erde, die Ausgebombten und Ausgehungerten von Burkina Faso bis Bangalore, wenn Fanons ´Verdammte dieser Welt´ sich wirklich einmal in strotzender Masse auf den Weg machten um im Utopia am Kap Asiens den grenzenlosen Konsum seiner Autochtonen nachzuäffen, dann muss sich Hegels ´beste aller möglichen Welten´ endgültig in den zynischen Alptraum Schopenhauers zurückverwandeln: eine insofern schlechteste aller überhaupt denkbar schlechten Welten: sie führte automatisch dazu, dass sich die Grundlagen unseres Überlebens in Echtzeit abnutzten. Darauf werde ich unten noch einmal genauer eingehen. Ganz bewusst bemühe ich in diesem Zusammenhang ´den Islam´. Der Tiger schläft nicht mehr, er wetzt die Krallen. Den derzeitigen, nach Ende der Blöcke recht willkürlich und ungebremst agierenden Global-Kapitalismus sollte man vor dem Hintergrund dieser schleichenden Erweckung als Verstärker, als Dynamo begreifen. Das geht auch ohne wirre Verschwörungs-Theorien. Stichwort Gröfaz (Teil 2). Es gab seinerzeit keine Internationale, die den buchstäblich verheizten Juden Europas rechtzeitig zur Hilfe gekommen wäre, keine verschworene Gemeinde, die in der Diaspora Tumult verursacht hätte. War das internationale Finanzjudentum also von Anfang an eine diabolische Konstruktion, um auf Kosten einer Minderheit Mehrheitsinteressen über unvorstellbare Verbrechen in die Tat umzusetzen, ist die Umma, wiewohl aus widerstreitenden Sekten bestehend, insofern Realität, als dass sie sich bei passenden Anlässen umgehend und weitflächig mobilisieren lässt. Und wie. Das haben wir in den letzten Jahren zuhauf erlebt. Daran möchte sich in der jetzigen Situation keiner so gern erinnern lassen. Auch nicht daran, dass die ersten Muslime nach Deutschland geholt wurden, um mit ihrer Hilfe privatwirtschaftliche Engpässe aufzufangen. Die Situation in den ehemaligen Mandatsgebieten bleibt verwickelt genug. Dennoch: den Ausschlag gab und gibt auch dort, wo der Islam beheimatet ist, das merkantile Interesse. Oft unterschwellig. Aber zunehmend ungebremst. Hier berühren und potenzieren sich in Wahrheit zwei Dogmen auf verhängnisvolle Weise. Beiden ist jenseits eigener Ansprüche nichts mehr heilig. Auch wenn dauernd von dieser oder jener Spielart muslimischer Frömmigkeit die beschwichtigende Rede ist: der Islam agiert dort, wo er an seine Grenzen stößt, zunehmend rigide, rabiat – rücksichtslos. Sein angestammter Totalitarismus hat die Zeiten nahezu unbeschadet überdauert. Er fordert ganz im Sinne der Schrift, die man seinem Verkünder nachträglich in den Mund gelegt hat alleinige Geltung. Eine andere kann und darf es nicht geben. Wie oft haben uns die Experten den Unterschied zwischen großem und kleinem Dschihad auseinander gesetzt. In maßloser Unbekümmertheit tobt sich der Furor jetzt von Sahel bis in´s ferne Insulinde aus. Überhaupt diese Unterschiede. Im Koran wird der Schleier nur recht beiläufig, an einer Stelle erwähnt. Trotzdem mussten ihn noch nie so viele Frauen tragen wie heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es reicht eben, dass der perfekte Mensch das mal vorgeschrieben hat. Das macht dann den Unterschied aus. Muslim-Machos in aller Herren Winde konnten sich in über tausend Jahren verlässlich darauf berufen – der Koran lügt nicht. Die aus zahllosen Anleihen und Versatzstücken recht wirr zusammen gekochte ´Lehre´ hat in dem weltanschaulichen Vakuum einer von ökonomischen Maximen geprägten Übergangepoche ihre verräterische Inkarnation längst vollzogen und gewinnt in dem Moment an Einfluss, da die ehedem maßgeblichen Entwürfe abdanken oder zu unverbindlichen Allgemeinplätzen herunter kommen. Gerade dies ist der eklektischen Erbauung erspart geblieben. Sie ist (und bleibt) trotz aller Widersprüche eine rigorose monotheistische Verkündigung, die auf totale Unterwerfung unter den Willen einer unfehlbaren, alles richtenden und rächenden Instanz pocht; eine, die mit einem an Irrsinn grenzenden Autismus alle Macht der Welt für sich beansprucht. Das muss man sich klar machen, wenn jetzt mit Verspätung darüber nachgedacht wird, wie Menschen integriert werden können, die aus einem ehedem säkularen Staat der Levante zu uns kommen (Bsp. Syrien) und vornehmlich der gehobenen Mittelklasse entstammen: das Wort Gottes schert sich nicht um derlei Kleinigkeiten. Die Zeiten haben sich geändert. Die Lehre nicht. Deutlicher gesprochen: es kommen nicht nur freundliche Levantiner zu uns. Und selbst an denen nagt der Zweifel. Einer, der zwischen sakraler Unfehlbarkeit und moderner Konsumvergessenheit die ganze Person auf die Probe stellt.
Zuwanderung, so behaupten unsere überforderten Eliten ständig, trüge zur Verjüngung und Erneuerung Europas bei. Dann geht es allen so richtig gut. Wie das Kunststück unter Berücksichtigung divergierender Interessen und Ausgangslagen einschließlich kultureller Antagonismen ganz konkret gelingen soll sagt dir keiner. Es wird und wirkt offenbar nach geheimer Zutat. Deutschland ist schließlich seit den frühen fünfziger Jahren Wirtschaftswunderland, hier muss es gelingen. Wer dächte da nicht automatisch an den Mythos von der ´unsichtbaren Hand´, dem ältesten und bis heute stupide nachgebeteten neoliberalen Dogma? Passend dazu wird ein langer Arm gefordert. Einer, der weit genug reicht, um nun endlich (!) die Probleme in den Krisengebieten zu lösen. Er half aber schon zu Genüge um sie zu verursachen. Jenseits der grell ausgeleuchteten Oberfläche vollzog sich immer eine Art Geheimgeschichte, die den Lauf der Dinge dezenter, aber ungleich gründlicher lenkte. Es ist wie mit dem Klima, dem wahrhaft wunderlichen, sich wendig wandelnden: alle beten die bequeme Formel für den Hausbedarf herunter – nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Sie, die so tönen, haben auch kein Problem damit, auf weiterhin bewährte Weise in Nahost herum zu pfuschen. Macht der Russe schließlich auch. So bleibt alles beim Alten. Ändern wird sich also nichts. IS und Al Nusra weichen dezent aus, sammeln Kräfte und entfachen diese dort, wo zunächst keiner damit rechnet. Die von uns hochgerüsteten Kurden ziehen inzwischen ihr eigenes Ding durch. Auch immer übler. Die Türkei macht sie am Ende alle platt. Macht neue Flüchtlinge, ganz klar. Der Staat Israel bleibt in dauernder Alarmbereitschaft. An Zion, wiewohl in Schussweite, wagt sich keiner von den Irren heran.
Zurück nach Europa. Schon heute zeichnet sich ab, dass die resultierenden Fluchtwege den Grenzverlauf der alten Doppelmonarchie markieren, der seinerzeit Orient und Okzident, christliches Europa und Osmanisches Reich voneinander trennte. Aber solches zu erwähnen wird als nicht mehr sehr zeitgemäß empfunden. Wozu schon wieder die historische Mottenkiste öffnen. Der Staub, den man damit aufwirbelt, empfinden viele als Zumutung. Wo ich oben den alten Hegel erwähnte: vielleicht vollzieht sich derzeit nur eine weitere Dialektik, die man in nämlicher Form nach dem ´Ende Geschichte´ für überwunden geglaubt hatte, wiewohl sie andauernd das Gegenteil bewies: es muss erst wieder alles im Inferno enden, damit die Dekaden relativer Gemütlichkeit, halbgarer Beschaulichkeit folgen können. Hat man damit aber, wie Hegel meinte, in der Geschichte schon automatisch eine höhere Stufe erreicht? Der von dem Denker zum Prinzip erhobene Widerspruch bleibt bestehen. Krisen münden oft in Ermattung, der entweder die restaurativen Tendenzen folgen oder, revolutionäre Kräfte vorausgesetzt, Epochen tumultöser Ungewissheit. Damit ist über den weiteren Verlauf noch nicht allzu viel gesagt. Der zweite Weltkrieg trieb das Massenmorden auf die einsame Spitze. Europa sank in Schutt und Asche. Dem folgten siebzig Jahre ´eiskalter´ Friede. Bei uns in Europa, wohlgemerkt. Zu Beginn der 90er Jahre beendeten die Balkan-Kriege diese Form der Beschaulichkeit. Aber wer hat das damals schon als Zeitenwende aufgefasst? Irgendetwas scheint derzeit überhaupt zu Ende zu gehen, eine Art Tauwetter macht sich breit und keiner kann sagen, was aus dunkler Erde nachwachsen wird. Man muss den Ansturm von anderthalb Millionen Flüchtlingen nicht unbedingt als Bedrohung empfinden. Wer aber wüsste auf Anhieb sämtliche Faktoren zu benennen, die den Verlauf oder das Ziel einer Entwicklung bestimmen, die von späteren Generationen erneut als unvermeidlich, als Schicksal begriffen werden?
Erst am Ende der Ereignisketten will uns allen wieder scheinen, das es gerade so und nicht anders hatte kommen müssen. Dabei wird auch jetzt wieder deutlich, dass bestimmte Vorgänge stark von Interessen beeinflusst werden. Ein Vierteljahrhundert umtriebiger Orientpolitik muss endgültig als gescheitert angesehen werden. Weniger den Klugen, mehr den Starken, Durchsetzungswilligen gehört die Gegenwart. Um das gescholtene Wir einmal kritisch statt rechtfertigend zu bemühen: wir selbst gehören ohne Zweifel mit zur Ursache, wir stecken auch schon mitten drin, machen aber weiter wie bisher, darum ändert sich nichts und die Probleme in den Ländern, auf deren Kosten wir (noch) leben, verschärfen sich täglich. Die Zeit der großen Entwürfe ist ja ohnehin längst vorbei. Schnelle Lösungen gibt es nicht. Wer dächte da nicht an den ewigen Zwist zwischen türkischem Staat und kurdischem Volk? Wir neigen dazu, einseitig Partei zu ergreifen. Je nach Bedarf. Im Grunde bleiben, was diesen unlösbaren Konflikt betrifft, beide Seiten Zwängen unterworfen, die wie Fesseln wirken: mit jedem Zugriff schneiden sie nur immer tiefer in´s eigene und fremde Fleisch. Bekämen die Kurden eine echte Autonomie zugesprochen, mehr noch: endlich einen eigenen Staat: bräche die Republik von Ankara komplett auseinander. Ein noch schlimmerer, flächendeckender Krieg wäre die Folge. Von den anderen, zusätzlich betroffenen Staaten der Region, allesamt wackelige Kandidaten, wollen wir gar nicht erst anfangen. Wenn über dreißig Millionen Menschen auf ihr Recht pochen, eine eigene Nation bilden zu dürfen, dann steht das automatisch in schärfstem Widerspruch zu sämtlichen Interessen involvierter Staaten. Auf Numeri muss ich niemandem auseinander setzen, was ein zusammenhängendes palästinensisches Staatsgebiet für den ´Nachbarn´ Israel bedeuten würde. –
Es lässt sich also nicht in Unschuld regieren. Im Kleinen wie im Großen lauern Gefahren. Beseitigt man ein Übel, kann das sogleich weiteres, viel schlimmeres Unheil nach sich ziehen. Wenn der Herr Seehofer mit einer Abriegelung der bayerischen Grenze droht, dann wird das, wiewohl es im nationalen Interesse geschähe, zu heftigen Tumulten im benachbarten Österreich führen. Jetzt rechnet auch der gerissene Sigmar Gabriel seiner Mutti vor, dass ein weiterer, ungebremster Zuzug von Flüchtlingen die Kapazitäten sprengt, aber er tut dies als Thronanwärter, nicht als Volksvertreter – als Rivale und nicht als Mitregent, der er übrigens geblieben ist. Die Probleme überforderter Polizeieinheiten, der lauthalse Katzenjammer brav biederer Bürgermeister, von wackeren Rot Kreuz Helfern und Streetworkern ganz zu schweigen: ist einem Gabriel herzlich egal, wenn er nur die nächste Wahl für sich gewinnt. Typen wie er geben sich gern betroffen und besorgt, weltoffen und tolerant, aber das ist alles nur Affentheater, denn in Wahrheit profitieren sie, wie Broker an der Börse, von jeder Kursschwankung, jeder Delle, jeder Kurve an der Wand. Wer selbst ans Ruder will muss nur darauf achten, wie es andern aus der Hand gleitet; auch wenn er, wie der Minister, ständig mit an Bord gewesen ist. Gabriel hat es gerade nötig, einen auf ´Ursachen-Versteher´ zu machen. Peinlich, das. Als Bundeswirtschaftsminister ist er direkt für Rüstungsexporte verantwortlich. In seiner Amtszeit sind die Ausfuhrgenehmigungen kräftig angestiegen. Allein bis Ende Juni wurde ein Wert von immerhin 3,5 Milliarden Euro erzielt. Der Wert der Exportgenehmigungen an Saudi Arabien stieg auf satte 178 Millionen an. Saudi Arabien ist unser Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus, wohlgemerkt. Er ist auch der real-existierende IS – Staat mit der Lizenz zum Köpfe abschlagen und Peitschenhiebe verabreichen. Bei Amtsantritt versprach der Herr Gabriel unter tosendem Applaus seiner Höflinge eine restriktive Rüstungs-Exportpolitik.
Wenn jetzt zwecks Beruhigung der Gemüter in den Auffanglagern dazu übergegangen wird, nach Mann und Frau, Religion und Zugehörigkeit zu trennen, dann ist das langfristig natürlich ein falsches Signal. Kurzfristig, glaubt man, sei das besser: dann hat man das, was später kommt, wenigstens jetzt vom Hals. Damit belastet sich ein Minister wie der Herr Gabriel natürlich so wenig wie mit der Ungleichbehandlung der Übeltäter selbst. Gewalt gegen Polizei und Mitarbeiter führte in einem jüngsten Fall zu schneller Verlegung der Beteiligten, statt das hier – wie unter ´normalen´ Umständen bei ´normalen´ Staatsbürgern üblich – eine strafrechtlichen Verfolgung mit anschließender Verurteilung stattgefunden hätte. Eigentlich müsste man diese Leute sofort abschieben. Solches öffentlich zu äußern geht aber gar nicht, damit begibt man sich in die unangenehme Gesellschaft von Rechtspopulisten und Wutbürgern. Lieber mahnt der Minister Gabriel, im Anschluss an den recht unverdächtigen Cem Özdemir, die Einhaltung europäischer Werte und Regeln an: im Miteinander der Kulturen. Das derzeit an der Peripherie nur kurzfristige Korrekturen und Kosmetiken zum Einsatz kommen, kann dem, der ungeduldig in Reserve sitzt, nur recht sein: das haut er der Kanzlerin demnächst im Dutzend um die Ohren. Ihm kommt auch das ängstliche Mauscheln und Mucken, das ducken und treten zugute – für später. Er kann, hält er sich bedeckt, nur gewinnen. In diese Kerben schlägt der Schattenkanzler schon jetzt. Er setzt sich ganz dezent von der Wellness-Päpstin ab und denkt sich bereits die passenden Bannflüche zwecks eigener Heiligsprechungen aus. Nehmen sie die derzeit recht kleinlaut, aber immer vernehmlicher verkündete Quotenregelung. Der Ruf nach gerechter Verteilung von Flüchtlingen in Gesamteuropa ist grenzenlos verlogen. Weder die betroffene Staaten wollen es noch die Flüchtlinge selbst. Es wird also zu Verfassungsklagen einerseits, zu gewaltigen Fluchtbewegungen andererseits kommen: innerhalb betroffener Staaten in Richtung Zentraleuropa. Ist alles vorprogrammiert. Das weiß der Empörer. Davon kann, davon will, davon wird er profitieren. So verkommen und verantwortungslos ist Politik – sind die Politiker. Auch darum ändert sich nichts am eingeschlagen, grundfalschen Weg. Ich beabsichtige wahrlich nicht, mittels dieser (recht unvollständigen) Auflistung die Hinrichtungs-Phantasien einiger Volksfront-Pegidisten zu relativieren. Ich stelle mir eher die Frage, wie lange es noch dauern mag, bis in den miefigen Dörfern jenseits der alten Zonengrenze tatsächlich wieder Galgen auf dem Dorfplatz aufgestellt werden. Sowas geht nachher viel schneller, als man anfangs glaubt. Auch und gerade in Deutschland.
Ausblick
Herbst 2015. In Syrien tobt ein blutiger Krieg. Schon seit Jahren tut er das. Im Norden, in der Türkei, wird ein weiterer geführt. Etwas verdeckter. Nicht minder brutal. Auch der einst gehätschelte IS gerät nun in´s Visier. Ob sie es glauben oder nicht: die Tatsache, dass es dieser Bande von Kolossal-Verbrechern gelang, die zwischen alle Fronten geratene Wüsten-Nekropole Palmyra auszulöschen wird jetzt in einem jüngst erschienen Kommentar zu einer recht nebensächlichen, als solche eher ärgerlichen Angelegenheit erklärt: das sei, so Thomas Migge im Deutschlandfunk, ´Ruinenromantik´. Hier offenbare sich der Ausdruck einer, man lese und staune, rückwärtsgewandten Sehnsucht. Worauf sollen oder wollen wir uns im Angesicht dieser lästigen Lappalie also vorbereiten? Wird uns das demnächst ein für alle Mal von jenen erklärt, die aus nämlicher Richtung nach Europa strömen und ihrerseits kein kleinstes Wort des Bedauerns dafür übrig haben, das ein paar olle Steinreste von der Bildfläche verschwunden sind? Die klagen eigene Rechte ein, so viel steht fest, und Typen wie der Herr Migge machen dann ganz sicher den Versteher: einen, der ´zwischen den Kulturen vermittelt´. Bei so viel feigem Opportunismus ist den Nachbetern des ungeschaffenen Wortes fast recht zu geben – wer so denkt und redet, der hat tatsächlich verdient, ohne jeden Rest aus der Geschichte getilgt zu werden. Eine, die solcherart ihr eigenes, endgültiges Urteil spricht. Das Volk der Dichter und Denker ist im Moment mit Auffanglagern und Willkommens-Ritualen beschäftigt, das zeitigt Frust genug, mehr muss nicht, wen kratzt jetzt noch, dass da unten ein paar Spinner mit Sprengstoff rumspielen und den Müll der Jahrtausende wegrotzen. ´Ruinenromantik´. Rückwärts gewandt. Oder wie ein Blogger meinte: lieber Menschen retten als eine kaputte Säule. Das leuchtet ein, du trübes Licht.
Den nun folgenden, das kantige Thema ein wenig abrundenden Passus wird man mir ganz gewiss auch noch um die Ohren hauen. Als unbegründet, wunschdenkend – realitätsfern. Nun gut. Der alte Popper hielt sich zeitlebens für einen Realisten und schreckte doch nicht davor zurück salopp zu postulieren: Optimismus ist Pflicht. Ich will das abschließend auch versuchen. In der Vergangenheit folgten Hoffnungsfrohe Entwicklungen oft zahllosen Unglücksfällen. Vor diesem Hintergrund möge man das folgende Plädoyer oder was immer sein mag lesen, einmal mehr mit Nachsicht, mehr erwarte ich gar nicht. Wem zu philosophisch oder abgehoben vorkommt, was als Anregung gedacht ist, sei immerhin belehrt: ohne kamen und kommen wir nicht aus, darüber wachsen wir nie hinaus. –
Paradoxerweise zeigt der keineswegs auf die europäische Peripherie beschränkte, vielmehr weltweit wild ausufernde Exodus in letzter Konsequenz nur an, dass es mit den nationalstaatlichen Eigeninteressen, dem finanzkapitalistischen Furor, den geostrategischen Alleingängen, der Bereicherung weniger auf Kosten der meisten, der religiösen Sektiererei und der konsumversessenen Apathie, dem immer noch so töricht wie unbekümmert beschworenen, sämtliche Flurschäden ignorierenden Wachstum auf Kosten jeder Nachhaltigkeit, kurzum: den alten, abgestandenen Lebensentwürfen und Praktiken, den Eigensüchten und Alleingängen endgültig zu Ende gehen muss. Langer Satz – kurze Botschaft. Sie reicht viel weiter, als mancher heute sehen möchte. Am Ende also schon wieder ein neuer Anfang? Aber so überliefert es schon die naturwissenschaftlich fundierte Erdgeschichte. Große Katastrophen standen immer am Beginn neuer, ungeahnter Möglichkeiten. Phasen kolossalen Aussterbens bereiteten neuer, unerhörter Vielfalt ungebahnte Wege. Soll also heißen: nur wenn die Dinosaurier (Konzerne, Weltmächte, Weltreligionen etc.) endlich das arg strapazierte Zeitliche segnen und statt dessen kleinere, klügere Säuger (sprich: lokale, flexiblere und feinfühligere Einheiten) auf sämtlichen Ebene für den dringend erforderlichen, den klugen wechselseitigen Austausch sorgen, könnte endlich und erstmals ein Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Völkern dieser Welt geschaffen werden. Derzeit rasseln sie schon wieder aneinander. Die Grundlagen dafür haben schon immer bestanden. Das 20. Jahrhundert hat manchen Fortschritt, etliches an sagenhaften Neuerungen gebracht, die aber allesamt zwiespältig bleiben und von den ´Neandertalern der Zukunft´ (Hoimar v. Ditfurth) recht unbeholfen bedient wurden. Dennoch und erst recht: auf lange Sicht kann und soll uns allen echter Segen daraus erwachsen. Bis dahin blüht uns, fürchte ich, noch einiges. Es könnte, wieder einmal, sterbensknapp werden. Doch die Riesen werden fallen. Nicht, weil ich das so will – sie müssen. Denn das taten sie immer. Erinnern sie sich an den Zusammenbruch des Sowjetblocks. Der ist als Segen empfunden worden, aber unter den Folgen leiden wir noch heute und es maße sich keiner an zu behaupten, er hätte all das kommen sehen.
Auch das Zeitalter der Massen, die ohnehin mit Blindheit geschlagen sind, muss zu Ende gehen. Zu viel Masse verdirbt jeden Charakter, während schon ein einzelner ausreicht, ganze Dekaden einzuebnen. Große Umwälzungen kamen zwar selten ohne die Masse aus, aber die blieb immer fremdgesteuert. Selten entsprangen ihr echte Teams, die jeden Einzelnen ernst nehmen. Große Innovationen kulminieren kurioserweise immer in den Hirnen Einzelner, die aus dem Vollen schöpfen. Das Problem solcher Ausnahmefälle ist von Nietzsche recht pathetisch beklagt worden. Womöglich schlagen die seltenen Glücksfälle auch darum immer wieder in ihr Gegenteil um – Moral als Problem. Wiewohl der Westen ungebrochen den Individualismus feiert, gehen wir alle immer verlässlicher in der Masse unter, die am Ende alles unter sich begräbt – in medias res. Das Ende der Masse möchte ich übrigens im Kern begriffen wissen, alles andere reicht nicht über den Tellerrand hinaus. Diese Erde kann sich bei gleichbleibender Verwertungslogik keine bald zehn Milliarden Menschen mehr leisten. Die explodierende Weltbevölkerung muss als der eigentliche apokalyptische Reiter unserer Tage gelten. Soll heißen: das Schlimmste steht uns noch bevor. Ein ganz simples Beispiel zwecks Verdeutlichung. Die globale Verfügbarkeit von Wasser wird in den nächsten Jahren dramatisch zurück gehen. Das Bevölkerungswachstum mitnichten. Damit sind die nächsten Migrationsbewegungen bereits vorprogrammiert. Der Nato-Partner Türkei rammt schon seit Jahrzehnten gigantische Stauseen in die anatolische Landschaft. Betroffen sind davon hauptsächlich Syrien und der Irak. Die Geburtenrate ist in diesen Ländern ungebrochen hoch. Mangelnder Zufluss an Trinkwasser wird von allein zur Entvölkerung weiter Landstriche beitragen. Wenn es für die im Zweistromland verbliebenen Menschen nichts mehr zu saufen gibt, wird sie keine Macht der Welt mehr davon abhalten abzuhauen. Sicher nicht in die arabische Wüste. Der Balkan könnte sich bis dahin in ein Tollhaus verwandelt haben.
Homo homini lupus? Wachstum um jeden Preis, an Mensch und Maus vorbei? Wird Mensch und Maus verlässlich ausmerzen. Auf kurz oder lang. Davon war noch in den frühen Achtzigern oft die Rede, derzeit passt es in kein Kalkül. Eine Apokalypse ist aber jederzeit möglich. Wüst und leer liegt an ihrem Ende die Erde: wie am Anfang – wie zu Beginn. Gewiss: auch darauf lässt sich bauen, rechnen wir in Äonen, deren Längen sich um nichts mehr scheren. Erneut und immer wieder. Ob auf Sand oder festem Grund gebaut werde, das können WIR allerdings schon heute entscheiden. Das fängt aber immer bei jedem einzelnen von uns an – auf ihn, und nur auf IHN kommt es an. Mit den Worten Martin Bubers:“ Es kommt einzig darauf an, bei sich zu beginnen, und in diesem Augenblick habe ich mich um nichts anderes in der Welt als um diesen Beginn zu kümmern.“
Wohlan. Es wäre wirklich an der Zeit. – –
Shanto Trdic, 08.11.2015
Hochinteressant, aber auch ziemlich lang. Die Artikelreihe würde locker ein Buch ergeben, wobei jeder Teil auch noch in Kapitel unterteilt werden könnte.
LikeLike
Der Ton des Essays, vor allem im fünften Teil, täuscht. Es ist nicht so, dass Shanto Trdic der einzige Realist wäre, während der Rest des Landes sich eine bessere Zukunft ausmalte.
In einer von der Welt (09.11.2015) und von der Achse des Guten (06.11.2015) zitierten Analyse des Bundesinnenministeriums heißt es beispielsweise:
„Statt einer geregelten Einwanderung importieren wir islamistischen Extremismus, arabischen Antisemitismus, nationale und ethnische Konflikte anderer Völker, sowie ein anderes Rechts- und Gesellschaftsverständnis. Wir produzieren durch diese Zuwanderung Extremisten, die bürgerliche Mitte radikalisiert sich, weil sie diese Zuwanderung mehrheitlich nicht will und ihr dies von der politischen Elite aufgezwungen wird. Wir werden eine Abkehr vieler Menschen von diesem Verfassungsstaat erleben.“
Kurz und klar.
Auf den komplexen Ausblick einzugehen, würde Stunden kosten; daher nur ein Bemerkung zu Herrn Migge, der im Deutschlandfunk (10.10.2015) erklärt, worin „die Kämpfer des IS“ irren: „Sie rezipieren [Ruinen] als bedeutungsgeladen, und deshalb wollen sie sie zerstören.“
„Bedeutungsgeladen“! Das könnte denen so passen! Kulturmensch Migge weiß es besser: Ruinen „von der römischen Antike bis nach Palmyra“ gehören in die Kategorie der „Ruinenromantik“. So gut wie wertlos. Naive Mohämmer, die sich einbilden, mit der Sprengung des Baalschamin-Tempels samt Enthauptung des 82jährigen Chefarchäologen den Westen erschrecken zu können!
Sympathisch, wie Trdic darüber in Zorn gerät! Ja, so einer wie Thomas Migge verdient es, zusammen mit „paar ollen Steinresten“ in Rom oder Paris unterzugehen. Aber wer will es noch erleben?
LikeGefällt 2 Personen