Auschwitz als Symbol

Ein 94-jähriger KZ-Wachmann und gleichzeitiger SS-Mann wird 71 Jahre nach dem Untergang des NS-Staates zu 5 Jahren Haft verurteilt. Ob er die Haft jemals antreten wird, steht in den Sternen. Ob er lebendig aus dem Gefängnis entlassen werden wird, ist unwahrscheinlich. Ob seine Verurteilung zu einem Umdenken in der Neuen Deutschen Gesellschaft führen wird, ist nicht anzunehmen. Das Gericht hat folglich „nur“ für die abstrakte Gerechtigkeit gesorgt. Für die Auschwitz-Überlebenden mag der Prozess und die ausgesprochene Strafe Genugtuung sein. 5 Jahre für Beihilfe zum Mord an 170.000 Häftlingen machen eine ¼ Stunde Haft pro Beihilfe zum Mord. Ziemlich viel, wenn man das Ergebnis mit anderen Naziprozessen vergleicht. Manche überführte NS-Täter erhalten weniger als 1 Sekunde pro Mord.

Wir wollen den Richtern dieses schwierigen Prozesses keine Bosheit vorwerfen. Auch rudimentäre Kenntnisse über den Holocaust wollen wir den Richtern verzeihen. Die Richter haben ihre Aufgabe gewissenhaft und ethisch vertretbar gemeistert. Steckt möglicherweise hinter dem Prozess etwas, was niemand bemerken soll (oder will)? Ich muss mich vorsichtig ausdrücken, um niemanden zu verletzen, weder die Opfer, noch die Täter. Weder die, die den Opfern, noch die, die den Tätern nahestehen. Ich werde die objektivierbare Wahrheit vertreten und mich somit auf allen Seiten unbeliebt machen. Wer Auschwitz für ein göttliches Heiligtum hält, möge das Lesen beenden!

…………………….

9 betagte jüdische Zeitzeugen sind beim Verfahren zugegen. Sie sind die letzten Zeitzeugen, Hunderte andere Zeitzeugen sind zwischenzeitlich verstorben. Das ist der Lauf der Welt, den jeder Jude annimmt. Über 1 Million Menschen werden in Auschwitz ermordet. Wie viele Juden insgesamt werden in den Vernichtungslagern bestialisch gequält und umgebracht?

Ich will nicht mit Zahlen jonglieren. Ein Teil der 6 Millionen Juden, die von den Deutschen umgebracht worden sind, sind in Auschwitz und in anderen KZs und Vernichtungslagern umgekommen. Die Chance, als Jude einem KZ oder einem Vernichtungslager lebend zu entkommen sind gering, jedoch vorhanden. Die Zeitzeugen beweisen es. Die Mehrzahl der Juden in Osteuropa werden nicht in KZs oder Vernichtungslagern ermordet. Die Mehrzahl der Juden Osteuropas wird in Wäldern erschossen, die heute auf dem Gebiet Weißrusslands oder der Ukraine liegen. Sie werden weniger von Angehörigen der Waffen-SS umgebracht als von regulären Soldaten der Wehrmacht. Als Hilfskräfte fungieren lokale Antisemiten. Babyn Jar ist einer der bekanntesten Schauplätze. Es gibt viele andere Hinrichtungsstätte, die Stalin in seinem Irrsinn und seiner Liebe zu Hitler verschweigt.

Unter der deutschen Besetzung Osteuropas sind mehr Juden von deutschen Soldaten erschossen als in KZs und Vernichtungslagern von SS-Männern verschiedenster Nationalitäten umgebracht worden. Die Wahrscheinlichkeit für einen Juden, im KZ oder Vernichtungslager zu überleben ist extrem niedrig, jedoch 100 mal höher als in „Freiheit“ im besetzten Osten Europas. Die große Mehrheit der osteuropäischen Juden wird in den Wäldern Osteuropas erschossen. Aus Babyn Jar ist nur eine Überlebende bekannt, die mit einer zerschossenen Hand überlebt.

Wie geschehen die Judenmorde außerhalb der Vernichtungslager? Die von den lokalen Helfern zusammengetriebenen Juden graben ein großes Loch aus dem matschigen Lehm und stellen sich nackt am Rand des Loches auf. Dann werden sie von den Wehrmachtssoldaten erschossen und fallen in das von ihnen gegrabene Loch. Anschließend kommen die nächsten Juden dran bis das Loch voll wird. Sicherheitshalber wird am Schluss noch einmal auf die Toten geschossen. Nur von einem einzigen (1) deutschen Soldaten wird bekannt, der zum Tode verurteilt wird, weil er sich weigert, an den Juden-Erschießungen teilzunehmen. Doch es gibt viele andere deutsche Soldaten, die bei den grausamen Erschießungen nicht dabei sein wollen. Man bietet ihnen an, als SS-Männer im KZ und Vernichtungslager Ausschwitz ihren Dienst abzuleisten. Sie stimmen zu. Die Arbeit dort ist besser verträglich als in den Wäldern. Hat sich der Angeklagte aus diesem Grund für Auschwitz entschieden? Nur Gott weiß es!

Auschwitz als Symbol wäscht die Wehrmacht und die Waffen-SS rein. An Auschwitz ist alles schlecht. Wehrmacht und kämpfende Waffen-SS werden als kämpfende Truppen im Krieg angesehen und in den Nürnberger Prozessen allesamt vom Genozid und anderen Grausamkeiten freigesprochen. Hat man kurz nach Kriegsende nichts gewusst oder wollte man damals nichts wissen? Erklärt es, warum die Alliierten die Gleise von Auschwitz nicht bombardieren? Ist den alliierten Siegern Auschwitz gegenüber dem Morden in Babyn Jar, von denen sie offiziell nichts gewusst haben, ethisch vertretbar?

Der jetzige Auschwitz-Prozess soll die Soldaten Nazi-Deutschlands, die Waffen-SS und die lokalen Hilfskräfte entlasten, ohne deren Untaten niemals so viele Millionen Juden hätten umgebracht werden können. Stalin hat dies glasklar erkannt, als er sich geweigert hat, Gedenkstätten für Juden zu errichten. Der Freund und Bewunderer Hitlers ist letztendlich ehrlicher als die meisten bisherigen europäische Geschichtsschreiber.

Erschienen unter

https://www.fischundfleisch.com/anti3anti/auschwitz-als-symbol-22194

http://www.tabularasamagazin.de/artikel/artikel_7189/

 

 

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15 Antworten zu Auschwitz als Symbol

  1. schum74 schreibt:

    „Ob seine Verurteilung zu einem Umdenken in der Neuen Deutschen Gesellschaft führen wird, ist nicht anzunehmen.“

    Was heißt „nicht anzunehmen“? Im Gegenteil! Gerade, weil wir den Greis verurteilt haben, dürfen wir umso fester auf die Juden eindreschen. Wir haben das Unsre getan. Jetzt seid Ihr dran: Juden raus aus Palästina!

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  2. schum74 schreibt:

    Kol ha-Kawod für den Artikel, lieber anti3anti. Ich glaube, meine Eltern (s’l) wären damit einverstanden.
    Man muss den ganzen Wald sehen, dessen einer – zugegebenermaßen dicker ‒ Baum Auschwitz ist.

    An dieser Stelle eine Verbeugung vor Pfarrer Patrick Desbois, der zusammen mit seinem Team Hunderte von vergessenen Massengräbern in der Ukraine aufgespürt und über 800 Interviews mit Zeitzeugen geführt hat.

    Aus: Frank Bajohr, „Wer weiß die Namen, kennt die Gesichter?“ (Die Welt, 14.02.2009) über Desbois‘ Buch: Der vergessene Holocaust – Die Ermordung der ukrainischen Juden. Eine Spurensuche. Mit einem Geleitwort von Arno Lustiger. Berlin Verlag 2009):

    Patrick Desbois’ Buch ist keine geschichtswissenschaftliche Darstellung über den Holocaust, sondern summiert die Erfahrungen und Gespräche seiner jahrelangen Tätigkeit in der Ukraine. Dennoch vermittelt es manche Grundeinsicht in die Praxis des Massenmordes, die man in gelehrten Werken bisweilen vergeblich sucht. Durch die protokollierten Gespräche konfrontiert der Autor seine Leser schonungslos nah mit dem Alltag des Holocaust – oft näher, als manchem lieb sein mag. Dabei widerlegt er Vorstellungen, die über den Massenmord an den europäischen Juden lange verbreitet und mit dem landläufigen Bild der Tötung durch Giftgas verbunden gewesen waren: die Auffassung nämlich, dass es sich bei den Morden um einen klinischen, anonymen Vorgang ohne direkte Konfrontation zwischen Tätern und Opfern gehandelt habe. Stattdessen war der Holocaust in der Ukraine durch eine Vielzahl von Massakern und Gemetzeln geprägt, die häufig unter aller Augen mitten in den Dörfern und Städten stattfanden – und keineswegs in der Anonymität von Wäldern, wie Desbois anfänglich selbst angenommen hatte.

    Was in den Gesprächen über das Verhalten der deutschen Täter aufscheint, bestätigt viele Erkenntnisse über die schnelle Gewöhnung der Erschießungskommandos an das Handwerk des Tötens, vor allem jedoch über die moralische Enthemmung, die dabei freigesetzt wurde. Manche Gemetzel waren mit regelrechten Gelagen verbunden; manchmal wurden junge Frauen von den Erschießungen zunächst verschont, um von den Tätern sexuell mißbraucht und anschließend dennoch getötet zu werden.

    Darüber hinaus rückt in den Gesprächen einen oft übersehener Aspekt des Holocaust in den Mittelpunkt: Die Morde fanden nicht nur öffentlich statt, sondern waren auch höchst arbeitsteilig und komplex organisiert. Viele Ukrainer mussten – teilweise als Kinder und Jugendliche – zwangsweise am Geschehen mitwirken: Sie bewachten die verhafteten Juden, hoben Gruben aus, beköstigten die Mordkommandos, schlugen Trommeln, um die Schüsse und Schreie zu übertönen, streuten Kalk und entfernten den Toten die Goldzähne. Manche Frauen berichteten, dass sie nach jeder Hinrichtungssalve die Leichen mit bloßen Füßen „feststampfen“ mussten, um Platz für die nachfolgenden Opfer zu schaffen.

    http://www.welt.de/welt_print/article3203736/Wer-weiss-die-Namen-kennt-die-Gesichter.html

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    • schum74 schreibt:

      Aus: Katja und Clemens Riha, „Überall liegen Knochen ‒ Der vergessene Holocaust in der Ukraine“, 3Sat, 09.12.2009:

      Es gab keine zentralen Vernichtungslager in der Ukraine. Überall wurden Juden zusammengetrieben, unzählige Dörfer und Städte haben ihre eigene mörderische Geschichte. „Im Osten sind die Opfer nicht verschwunden“, so Desbois. „Es ist ein Holocaust mit Körpern. Man hat immer gedacht, so wie in Auschwitz, Belzec, Sobibor, Treblinka, gäbe es keine Körper mehr. Aber im Osten gibt es sie, die Juden, die Sinti und auch die geistig Behinderten. Sie liegen überall. Unter den Wäldern, in den Feldern, hinter der örtlichen Bank, unter dem Supermarkt.“

      http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/140430/index.html

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    • caruso schreibt:

      Patrick Desbois ist ein verehrungswürdiger Mann. Das ist klar. Schon vor Jahren habe ich über seine Arbeit gelesen. Trotzdem habe ich sein Buch nicht gekauft und werde es auch jetzt nicht tun. Der Grund ist, daß ich für die Lektüre solcher Bücher viel zu alt bin.
      Als ich vor 8 Jahren ca. zwei Bücher, in kurzem Zeitabstand, über den 2. Weltkrieg gelesen habe, fiel ich in eine tiefe Depression.
      Es schien mir, als ob ich noch immer irgendwelche Illusionen über mensch – genannt homo sapiens sapiens – gehabt hätte, dabei hatte ich damals keine Illusionen mehr — dachte ich. Und bin sehr schwer aus dieser Depression herausgekommen. Auch weil sich mein Bruder damals im Ausland aufhielt und ich somit allein war.
      Nun bin ich endgültig allein, denn von dort, wo er jetzt ist, ist noch keiner zurückgekommen. Also keine solche Lektüren mehr. Einerseits schade, anderseits gut so. Es gibt viele Bücher
      anderer Art die ich noch lesen will, bevor auch ich „übersiedle“. Damit habe ich aber keine Eile.
      lg
      caruso

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      • schum74 schreibt:

        Auch ich lese keine Bücher mehr über diese Zeit. Mit jedem Jahr ist es schwerer zu ertragen als ein Jahr zuvor. Es passiert das Gegenteil von Abstumpfen. Aber auch so bekommt man Nachrichten aus dieser Welt: wie jetzt durch den Warszawski-Artikel; oder durch Bemerkungen des Einen oder Anderen.
        Der Eine, das ist der Raw und Medienmensch Josy Eisenberg, der in einem Interview (Oktober 2014) erzählt, warum sein Freund Elie Wiesel den biblischen Hiob für einen Goj hält: Als die Juden von den Massenerschießungen, Vergasungen… berichtet haben, hat ihnen niemand geglaubt. Aber wenn Hiob sagt, dass er sein Haus verloren hat, dass alle Söhne tot sind, alle Töchter tot sind, – glaubt man ihm sofort.

        Der Andere, das ist der französische Gelehrte Emmanuel Levinas (1906-1995), dessen erste Familie in Kovno/Kaunas (Litauen) „an Ort und Stelle“ umgebracht worden ist. Bemerkt er dazu in einem Interview von 1976:

        « Le drame juif est vécu sous différentes manières. Et là il a été revécu de manière particulièrement intense sous Hitler. Sous Hitler un Juif a vécu son judaïsme jusqu’au bout, c’est-à-dire jusqu’au martyre. Et alors, ce qui s’est accompli à cette époque-là, c’est dans un monde qui a complètement abandonné les Juifs. Il n’y avait à cette époque ni protestations d’intellectuels de gauche, ni presse, ni opinion mondiale indignée… Ils étaient complètement laissés à eux-mêmes, sans espoir. Et, à cette époque-là où ils étaient sans espoir, ils pouvaient rester humains. »

        [Das jüdische Drama wird verschieden gelebt. Und unter Hitler ist es besonders intensiv gelebt worden. Unter Hitler hat ein Jude seine Jüdischkeit bis zum Ende gelebt, das heißt, bis zum Martyrium. Und was zu dieser Zeit geschah, geschah in einer Welt, die die Juden vollkommen aufgegeben hatte. Es gab zu dieser Zeit weder Proteste von Linksintellektuellen, noch eine Presse, noch eine aufgebrachte öffentliche Meinung… Sie wurden vollständig sich selbst überlassen, ohne Hoffnung. Und in dieser Zeit, da sie ohne Hoffnung waren, konnten sie (dennoch) menschlich bleiben.]

        Umgehauen haben mich aber Levinas‘ Worte:

        « Le Dieu vivant, c’est le Dieu qui souffre avec vous, qui souffre pour vous ; et qui selon la vielle tradition juive vous a accompagné dans votre exil. »

        [Der lebendige Gott, das ist der Gott der mit dir leidet, der deinetwegen leidet; und der, nach der alten Tradition, Israel ins Exil begleitet hat.]

        Mach damit, was Du willst.

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  3. Heimchen am Herd schreibt:

    Yossi Azulay – Rachem

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    • schum74 schreibt:

      Du hast was Gutes daraus gemacht, Heimchen: ergreifend. Wobei der Text von „Rachem“ (hab Mitleid) nicht etwa aus einem Trauer-Gebet stammt, sondern durchaus alltäglich ist. Er gehört zu der Birkat ha-Mason, dem Tischgebet.

      Hier eine zweite schöne Version:

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  4. Heimchen am Herd schreibt:

    „Du hast was Gutes daraus gemacht, Heimchen: ergreifend. Wobei der Text von „Rachem“ (hab Mitleid) nicht etwa aus einem Trauer-Gebet stammt, sondern durchaus alltäglich ist. Er gehört zu der Birkat ha-Mason, dem Tischgebet.“

    Danke, liebe Schum, habe wieder etwas von Dir gelernt!

    Hier noch ein Lied, was mich sehr bewegt:

    Gad Elbaz – Mi sheberah

    Ich verstehe zwar kein Wort, aber ich finde es wunderschön!

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  5. schum74 schreibt:

    Sind die orientalischen Christen und mit ihnen die Jesiden nicht ebenso sich selbst überlassen wie die Juden es waren? Protestierende Linksintellektuelle? Die sind mit den Juden in Israel beschäftigt. Jemand muss ja die Apartheid anprangern, die den arabischen Professor Michael (Mousa) Karayanni zum Rektor der Hebräischen Universität (Cool Israel, 21.06.2016) hochputscht. Die Presse? Da und dort ein Beileids-Artikel. Die öffentliche Meinung? Die geht mit dem Papst konform: Vor die Wahl gestellt, Christen/Jesiden oder ihren muslimischen Bedrohern und Mördern zu helfen, entscheide man sich für die Bedroher und Mörder. Erstens sind sie mehr, und damit irgendwie imposanter; zweitens kriegt man im selben Abwasch potentielle Judenmörder geschenkt. So schließt sich der Kreis.

    http://coolisrael.fr/28330/un-arabe-israelien-doyen-de-luniversite-hebraique

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  6. schum74 schreibt:

    „Hätte man die Grenzen dichtgehalten und stattdessen in den Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon den wirklich Bedürftigen geholfen, hätte man Schwerstkranke, Familien ohne Ernährer und Beschützer, bedrohte Christen und Jesiden aus den Lagern nach Deutschland ausgeflogen – wer hätte etwas dagegen einwenden können oder wollen? Es hätte kein Köln, kein Darmstadt, kein Heidenau, keine zweistellige AfD, keine Spaltung des Landes gegeben. Aber nein, das war ja alles nicht gut genug für die wiederentdeckte deutsche Großmannssucht.“ (Andreas Backhaus, Tichys Einblick, 17.06.2016)

    http://www.rolandtichy.de/meinungen/fluechtlingskrise-warum-ich-nicht-helfe/

    Ach was ‚Großmannssucht‘! Kleinmannssucht nach Mord und Totschlag.

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  7. schum74 schreibt:

    Zu den Massenmördern von damals und heute gibt es einen schönen Kommentar, der sich eigentlich auf einen Tora-Vers bezieht.
    Anmerkung: Der hier genannte „Schulchan Aruch“ ist die im 16. Jahrhundert von R. Josef Karo verfasste und im Folgenden von mehreren Rabbinergenerationen überarbeitete autoritative Zusammenfassung religiöser Vorschriften des Judentums (Wikipedia).

    Sagte R. Mosche aus Kubrin: Mein Vater (s’l) war der Meinung, dass zu den vier gedruckten Büchern des „Schulchan Aruch“ (die von Halacha handeln: Wie verhält man sich zu G‘tt) noch ein fünftes hätte hinzukommen sollen: Wie verhält man sich zu den Menschen. Ich vermisse noch ein sechstes: Wie verhält man sich zu den Unmenschen.

    (Quelle: Jehoschua Spiegel: Rischpej Tora – Tora-Funken, Givataim 1987, S. 292)

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    • caruso schreibt:

      „Ich vermisse noch ein sechstes: Wie verhält man sich zu den Unmenschen.“ Eine sehr gute und wichtige Frage. Wie auch immer die Antwort ausfällt, nicht mit Liebe und Gebet. Keinesfalls wenn es um Mörder handelt. So gut bin ich nicht. —
      Schum liebe, mit dem Satz den Du gestern von Levinas zitiert hast – Gott der mit mir,, meinetwegen leidet… ein sprachliches Problem. „Mit mir, meinetwegen“, das ist nicht das gleiche wie „für mich“. Oder? Falls meine Vermutung stimmt, dann ist das für mein Gefühl ein riesiger, ein abgrundtiefer Unterschied. Stimmt das oder täuscht mich mein Gefühl?
      Was meinst Du? Oder ist es Blödsinn?
      lg
      caruso

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      • schum74 schreibt:

        Die Frage ist nicht nur Blödsinn, sie ist sogar angebracht. Was sagt Emmanuel Levinas genau?

        « Le Dieu vivant, c’est le Dieu qui souffre avec vous, qui souffre pour vous ; et qui selon la vielle tradition juive vous a accompagné dans votre exil. »

        Wie habe ich übersetzt?
        Der lebendige Gott, das ist der Gott der mit dir leidet, der deinetwegen leidet; und der, nach der alten Tradition, Israel ins Exil begleitet hat.

        Über « qui souffre avec vous » kann es keine Meinungsverschiedenheit geben: der mit dir leidet.
        Das allgemeine, unpersönliche vous entspricht im Deutschen dem ebenso allgemeinen und unpersönlichen du.

        Jetzt: « qui souffre pour vous »: wörtlich: der für dich leidet.
        Das heißt im Französischen nicht: an deiner Stelle, sondern: deinetwegen.
        Beispiel: Über die arme Mutter der oberpeinlichen Evelyn Hecht-Galinski hieß es nicht selten in (französischen) Kommentaren in jüdischen Blogs: « On souffre pour elle » – man leidet ihretwegen, sie kann einem leidtun. Niemand kam auf die Idee, dass man Frau Ruth Galinski (s’l) das Leid wegnehmen konnte, indem man es auf sich nahm, so dass man an ihrer statt hätte leiden können.

        Das sage ich so umständlich, weil ich ahne, woher Deine Verwirrung kommt. An jemandes Stelle leiden, das ist eine christliche Vorstellung. Das ist sogar die Gründungsvorstellung der Kirche: Jesus leidet für mich in dem Sinne, dass er meine Bürde auf sich nimmt. Qui tollis peccata mundi. Jesus trägt die Sünden der Welt und mit ihnen den Sündenlohn: Leid und Tod.
        Gerade um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, habe ich: „der deinetwegen leidet“ statt „der für dich leidet“ gewählt.

        Wir haben keinen Jesus (obwohl er um einiges sympathischer ist als die Hechtin), aber dafür haben wir die Schechine, die g’ttliche Gegenwart, die mit uns aus Zion ausgezogen ist, und mit dem letzten Exil-Juden nach Zion zurückkehren wird.

        Da gibt es eine Geschichte, die uns der Raw beim kiddisch erzählt hat. Sie läuft unter Witz, ist aber gar nicht witzig. (Jetzt müsste man Aristobuli Erzähl-Talent haben.)

        Treffen zwei Überlebende 1945 in einem Zugabteil. Beim Sonnenaufgang holt der eine Jid seinen Koffer vom Netz herunter, entnimmt ihm tallis und tfillen, legt den tallis an, bindet die tfillen um, fängt an zu davnen.
        Gemurmel. Stille.
        Fragt der zweite Jid am Ende: Glaubst du wirklich, dass Haschem, der die Schreie von 6 Millionen Jiden nicht gehört hat, ausgerechnet dir zuhören wird?
        – Ich weiß. Ich davne auch nicht meinetwegen. Es ist nur so, dass Er mir leid tut.

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      • schum74 schreibt:

        nicht nur nicht Blödsinn, natürlich. ‚tschuldigung!

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  8. caruso schreibt:

    Danke, liebe Schum! Genau darum ging es mir. Man sagt mir zwar, daß ich das Deutsche ganz gut gelernt (oder erlernt?) hätte, aber ich weiß, daß mir Nuancen öfters Probleme machen. Nun bin ich froh, daß mein (Sprach-)Gefühl mich nicht getäuscht hat.
    Die letzte Geschichte finde ich großartig. Und paßt natürlich genau hierher. Ein Witz, aber ein tiefgründiger, wie so viele jüdische Witze.
    lg
    caruso

    PS Die Hechtin & Co können mir gestohlen bleiben. Nur zum Verabscheuen.

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