Jerusalem: Zwei Staaten, eine Stadt – und keine Lösung. Von Simone Paganini.
Erschienen in der Aachener Zeitung am 28. Dezember 2017
Simone Paganini ist Professor für „Alttestamentliche Bibelwissenschaft“. Seit 2013 leitet er das Lehr- und Forschungsgebiet Biblische Theologie an der Universität Aachen.
In Aachen ist was los! Dieser Meinung sind zu mindestens die Bürger Aachens. Es ist sehr, sehr lange her, dass Aachen der Mittelpunkt Europas gewesen ist. Heute heißt es stattdessen im westlichen Zipfel Deutschlands, welches Aachen an den Rand der Zivilisation drängt:
Wenn Holland nicht wär`, läge Aachen am Meer!
Im Tertium Imperium Germaniae fällt das katholische Aachen weder im positiven, noch im negativen Sinn aus dem nationalsozialistischen Rahmen. Aachen wird als erste Großstadt von den Nazis erlöst, hier findet der erste jüdische Gottesdienst auf befreiten deutschem Boden statt. Hier wird die Idee geboren, dass Juden und Christen zusammenarbeiten müssen, damit nie wieder …
Kurz: In Aachen leben heute Antisemiten genauso dicht aufeinander wie anderswo in Europa. Es gibt weit unangenehmere Städte als Aachen.
Der Hass auf Juden wird in Aachen wie auch anderswo in Deutschland seit der Niederlage 1945 nicht thematisiert. Wie auch anderswo in ganz Deutschland, wird 1967 nach dem Sieg der Juden Israels über die Araber „Judenhass“ durch „Israelkritik“ ersetzt. Die etwa 1.000 Juden in Aachen sind gut integriert, da sie nicht auffallen. Die Aachener Synagoge ist strenger und besser bewacht und abgesichert als das schöne karolingische Rathaus und der wunderbare Dom, den Karl der Große hat erbauen lassen.
Die Israelkritik in Aachen kommt aus der unverbesserlichen ewig-gestrigen katholischen Pax-Christi-Bewegung und seltener von den Protestanten von „Brot für die Welt“. Der Aachener Friedenspreis, eine pseudolinke pazifistische Organisation, verhält sich in letzter Zeit judenneutral. Die Aachener Zeitung AZ hat ein kleinbürgerliches rechtslastiges Pendant, welches sich Aachener Nachrichten nennt. Die mediale Israelkritik gehört zu Aachen wie Printen und kaufkräftige Touristen.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass Juden und Israel auch über sichere Bundesgenossen in Aachen verfügen, allen voran die Deutsch-Israelische Gesellschaft DIG, den standhaften Journalisten Ulrich Sahm aus Jerusalem und vielen ehrenvollen Einzelpersonen, die keiner Partei angehören. Auf wunderbarer Weise gehört nun die Volkshochschule dazu, die nur noch selten in den alten israelkritischen Trott verfällt. Fairerweise muss man anmerken, dass Juden in der Aachener Öffentlichkeit weder von Islamisten, noch von Neonazis belästigt werden, sieht man von vergangenen türkischen Hakenkreuzen auf der Synagoge ab.
Zwischen Weihnachten und Neujahr langweilt sich das Volk, weil die Politiker sich zurückziehen. Das ist die Zeit für die AZ, israelkritische Artikel zu verbreiten. Die von der AZ abhängigen Journalisten schreiben nicht selber die israelkritischen Artikel, sie werden gewöhnlich an selbsthassenden Juden aus Frankreich und Israel vergeben. Diesmal wird der aus Mailand stammende katholische Professor Paganini und Leiter der Biblischen Theologie von der Universität Aachen auserkoren. Nun muss man wissen, dass die RWTH Aachen eine technische Universität ist, die wenig Wert auf mittelalterliche Bildung legt.
Professor Paganini ergreift die Gelegenheit, Donald Trump abzukanzeln und den Israelis Jerusalem als Hauptstadt abzusprechen, obwohl er ein Israelfreund sein will und einige Juden persönlich kennt. Es geht im Folgenden nicht alleine darum, Paganinis Israelkritiken zu widerlegen, sondern die Geschichte vom Erscheinen des langen Artikels bis zur seiner öffentlichen Verdammung in Aachen aufzuzeigen. Auch wenn die Geschichte damit nicht abgeschlossen ist, gibt sie den Juden und Freunden Israels den Mut, dem Beispiel Aachens zu folgen.
Zum Zeitungsartikel in Auszügen:
Die israelische Archäologin, Eilat Mazar, lässt die Forschungswelt mit einer sensationellen Entdeckung aufhorchen. In der Gegend unterhalb des Tempelberges, wo man zu Recht die Spuren des antiken Jerusalems vermutet, hat sie eine breite, behauene Steinplatte freigelegt. Sie datierte ihren Fund in das 10. Jahrhundert v. Chr. und identifizierte ihn kühn als das Fundament des Palastes von König David. Die Ausgrabungen werden von einem US-amerikanischen jüdischen Banker (Sohn von Auswanderern aus Nazi-Deutschland) und mit Hilfe einer zionistischen Stiftung („The Shalem Centre“) finanziert. Das ist nicht der einzige Grund, warum die Interpretation der Funde relativ schnell von der wissenschaftlichen Welt angezweifelt werden.
Wiederholung: Weil die Ausgrabungen von einem Banker, der Jude und US-Staatsbürger ist und dessen Eltern aus Nazi-Deutschland geflohen sind, und einer zionistischen Stiftung finanziert werden, zweifelt die wissenschaftliche Welt die Echtheit der Funde an. Diesen Dreck (Trump: shit) druckt die AZ ab. Sie schämt sich zwar, wie wir es im weiteren Verlauf erkennen werden, ist aber zu borniert, um sich dafür zu entschuldigen. In Aachen nennt man es „Meinungsfreiheit“, anderswo auch Dummheit, wenn nicht Ärgeres.
Eigentlich können wir hier den Verriss der AZ beenden, denn es wird bereits zu Anfang klar, dass Emotionen die Wissenschaftlichkeit verdrängen. Doch es bleibt interessant! Weiter im AZ-Text:
Die Frage nach der Historizität von König David und von seinem Nachfolger Salomo – und damit verbunden die Frage nach der historischen Glaubwürdigkeit eines Großreiches Israels am Beginn des ersten Jahrtausends vor Christus – ist allerdings entscheidend, will man im Sinne eines Donald Trump zumindest populistisch den Anspruch des modernen Staates Israel auf Jerusalem als seine Hauptstadt rechtfertigen.
Nun werden König David, König Salomo und das Königreich Israel in Zweifel gezogen. Natürlich ist es wissenschaftlich gestattet, die Existenz der Könige Israels und das das Königreich Israel anzuzweifeln, selbst als katholischer Professor. Welchen Sinn dies Unterfangen hat, werden wir gleich bemerken.
Es geht dabei aber schon lange nicht mehr nur darum, die biblischen Berichte zu bestätigen: Archäologie und Bibelwissenschaft sind zu politisch wichtigen Disziplinen geworden. Die Quellenlage für die Zeit Davids ist sehr spärlich. Als literarische Quelle kommt lediglich die hebräische Bibel in Frage. Der biblischen Chronologie folgend war Jerusalem lediglich von 1004 bis etwa 930 v. Chr. die Hauptstadt Israels. Als archäologische Quelle gibt es über David nur ein kleines Fragment einer Basaltstele – einem aufgestellte Stein mit einer Inschrift – aus der Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. In dem Text wird relativ (sic!) eindeutig (sic!) die Existenz eines „Haus Davids“ belegt. Zu Salomo gibt es keine derartigen Belege.
Sowohl die archäologische Forschung als auch die literarische Analyse der biblischen Texte deuten den biblischen Bericht nicht als historische Erzählung. Zur Zeit der historisch ungesicherten Existenz des Königs David war Jerusalem sehr wahrscheinlich keine Stadt mit einer massiven Mauer, einem Palast und – zur Zeit Salomos – auch mit einem prächtigen Tempel, sondern eher ein unbedeutendes Dorf in den Bergen Judäas. Erst zweihundert Jahre später bekommt Jerusalem eine größere Bedeutung. Die damaligen Regenten ließen die literarischen Figuren von David und Salomon erstehen und nutzten sie als Legitimationsgrundlagen ihrer Macht.
Dummerweise haben anerkannte Archäologen auch ohne jüdisches Schmiergeld vor einigen Jahren die massiven Wehrmauern der Stadt „Jerusalem“ vor 3.000 Jahren ausgegraben. Das widerspricht jedoch keinesfalls der These, dass die damalige Stadt eher ein Dorf gewesen ist, denn auch Dörfer in den Bergen Judäas weitab der Zivilisation haben ein Recht auf dicke Mauern. Die Medien Deutschlands berichten bis heute über die Gefahren, die einen in Jerusalem und Judäa erwarten. Aachen hat auch solche Mauern besessen und ist immer noch ein Dorf. Und was einem Kuhdorf mit dicken Mauern recht ist, muss Jerusalem billig sein.
Doch viel wichtiger ist die Feststellung in der wissenschaftlichen AZ, die der Aachener Bibelwissenschaftler und seriöse Forscher darlegt, dass König David nicht existiert hat. Endlich ein kluger Satz aus berufenem katholischem Munde. Ohne König David hat dieser nicht vorhandene König keine Nachkommen! Ohne die Existenz Davids existiert der Jude Jesus und spätere Christengott auch nicht! Der ungläubige Papst und die abtrünnigen Lutheraner werden es verschmerzen. Die Muslime, die momentan Aachen in Beschlag nehmen, werden es nicht gerne hören. Denn dieser jüdischer Christengott ist im Islam nach Mohammed, der ebenfalls ein Narrativ ist, der zweitwichtigste Prophet! Um die gläubigen Muslime nicht zu verärgern, sollte die AZ die Islam beleidigende These der Nichtexistenz des Königs David zurücknehmen.
Im 8. Jahrhundert v. Chr. ist Jerusalem nicht die Hauptstadt des Großreiches Israel, sondern die Hauptstadt des Süd-Reiches Juda. Das deutlich wichtigere und strategisch bedeutendere Reich Israel, das Nord-Reich, hat eine andere Hauptstadt, nämlich Samaria. Das Reich Israel wird 722 v. Chr. von den Assyrern erobert, zerstört und ins assyrische Reich einverleibt. Das Reich Israel hört gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. auf zu existieren. Von 722 v. Chr. bis 1948 n. Chr. gibt es kein Israel mehr. Jerusalem ist nicht die Hauptstadt Israels gewesen, sondern die Hauptstadt Judas und überlebte als solche noch knappe 140 Jahre.
Erst am 4. Januar 1950 erklärt Israel Jerusalem zu seiner Hauptstadt, aber erst 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg beanspruchte es die Souveränität über den Ostteil der Stadt, der nach 1948 von Jordanien annektiert worden ist.
Nun beginnen wir zu erahnen, warum Jerusalem nicht die Hauptstadt Israels sein kann und sein darf. Jerusalem ist niemals die Hauptstadt des Nord-Reiches Israels gewesen, sondern von Juda! Also darf Jerusalem auch heute nicht die Hauptstadt Israels sein! Aus dem selben Grund hat Putin die Krim von der Ukraine zurückerobert, da die Hauptstadt Russlands Kiew ist. Eine Möglichkeit lässt der Aachener Wissenschaftler zu: Israel darf sich in Juda umbenennen! Dann und nur dann wäre das vereinte Jerusalem seine Hauptstadt. Auch wird bemängelt, dass Israel erst nach der Befreiung Ostjerusalems von den Jordaniern ganz Jerusalem zur Hauptstadt des Staates Israel erhebt. Die Juden (Israelis) hätten es früher tun müssen! Schließlich verlangen die arabischen Palästinenser einige wichtigen Teil Jerusalems als ihre Hauptstadt, obwohl sie ihnen nicht gehört. Inschallah.
Diese Vorstellung hat nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern allein mit Borniertheit. Die AZ ist nicht einmal fähig, Fake News zu verbreiten, sie belässt es bei Dummheiten. Sie muss sich ja verkaufen.
Es ist interessant zu sehen, dass der hebräische Name der Stadt „Jeruschalajim“ ist. Jeruschalajim ist grammatikalisch gesehen eine Dualform. Auf Hebräisch wird eine solche Form verwendet, wenn man ein Paar bezeichnen will: zwei Hände, zwei Augen, zwei Füße – und eben zwei Jerusalem(e). Die Erklärung ist einfach: Die Dualform kann als feierliche Form des Namens angesehen werden. Nichtsdestotrotz ist es schön und hoffnungsvoll festzuhalten, dass die Vorstellung von einem einzigen Jerusalem auch rein sprachlich nicht existiert.
Nicht nur die Geschichte, sondern sogar die Grammatik widerspricht der Auffassung von Donald Trump, Jerusalem sei seit 3000 Jahren die alleinige Hauptstadt Israels. Jerusalem gibt es nur doppelt. Jerusalem ist mit Sicherheit nicht seit 3000 Jahren die Hauptstadt Israels. Die Frage, ob Jerusalem vor 3000 Jahren für wenige Jahrzehnte die Hauptstadt des Reiches Israel gewesen ist, bleibt – wie auch immer Mr. Trump darüber denken mag – eine wissenschaftliche Frage ohne endgültige Antwort.
Da Jerusalem auf Hebräisch eine Dualform ist, existiert Jerusalem doppelt! Darauf wäre nicht einmal Donald Trump oder der Papst gekommen, ganz zu schweigen Abbas und die persischen Mullahs! Wir müssen dem Prof. Paganini ob seiner Weisheit Tribut zollen! Er hätte etwas Besseres verdient als eine theologische Professur in einer kulturunsensiblen und hochtechnologischen Stadt, die nicht einmal einen Erzbischof aufweist. Ich empfehle, Herrn Prof. Paganini zum nächsten Papst auszurufen. Petrus ist auch verheiratet gewesen.
Die Geschichte ist nicht zu Ende. Die Freunde Israels, allen voran die DIG, Ulrich Sahm und ein guter christlicher Theologe, erhalten von der AZ eine ganze Seite für ihre Erwiderungen auf Paganinis Behauptungen, die sie geschickt ausnutzen. Hier wird nebenher die Werbetrommel für einen Vortrag des beliebten Journalisten Ulrich Sahm geschlagen, der am 30. Januar 2018 stattfindet. Statt der üblichen 30 Zuhörer füllen 200 Interessierte den großen Saal der Jüdischen Gemeinde Aachen JGA. Manche Interessierte werden wegen Überfüllung abgewiesen! Eine lange Schlange bildet sich vor dem gesicherten Eingang. Selbst der vielbeschäftigte Erste Vorsitzender der JGA erscheint trotz dringender anderer Termine.
Der Vortrag von Herrn Sahm wird wie erwartet ein voller Erfolg. Der ausgezeichnete lebhafte, gleichzeitig ironische und keineswegs zynische Vortrag wird mehrmals durch Applaus unterbrochen. Prof. Paganini taucht nicht auf. Er bemängelt später, keine persönliche Einladung erhalten zu haben.
Was können wir daraus lernen?
Es lohnt sich für Israel, den Zionismus und die Wahrheit zu kämpfen!
Der Kampf gegen Antisemitismus und Israelhass ist noch nicht gewonnen.
Nachtrag:
Am 05.02.18 erreicht die AZ endlich ein Leserbrief, der Paganini zu verteidigen versucht. Der Leserbrief schrammt haarscharf an der Judenkritik vorbei, was wohl der Zensur der AZ zu verdanken ist.
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