Recht und Ordnung

´Feigheit, Mutter aller Grausamkeit´
Montaigne

Gleich meinem Freund Nathan, dem Webmaster dieser Site, verfolge ich, jenseits der großen Zusammenhänge, nicht minder aufmerksam auch solche Vorgänge, die im lokalen bzw. regionalen Umfeld öffentliche Interessen immer wieder empfindlich berühren oder verletzen. Die bloße Meinungsbildung (jenseits verordneter oder verabreichter) Meinungsmache kann sich noch im Kleinsten, vielleicht gerade dort, zu echter Urteilskraft verdichten, doch liefe sie schon hier ins Leere, bezöge man nicht gleichzeitig deutlich Stellung: Klare Standpunkte müssen auch klar sichtbar werden. Und sichtbar bleiben. Es geht also weniger um die Frage, ob die so oft zitierte Zivilcourage zu den Tugenden oder Pflichten des Bürgers zählt oder nicht. Was einer tatsächlich zu zahlen bereit ist, um diese jenseits taktischer Erwägungen auch dauerhaft zu behaupten – das zählt. Vom einzelnen wird, lässt er sich auf dieses ´Spiel´ ein, fast durchweg ein hoher Einsatz verlangt, während die bloßen ´Spielchen´ zum Nulltarif erhältlich bleiben.

Es kostet nicht viel, für mehr Gender auf der Straße zu trommeln oder an die Neutralität öffentlicher Räume zu erinnern, wenn es um die Frage geht, ob im katholischen Bayern wieder Kreuze in den Amtsstuben hängen sollen oder nicht. Es gibt in diesem Land keine Anti-Gender-Kolonne, die im Stil des Klu-Klux-Klan Jagd auf Transsexuelle macht, um diese mit dem Messer zu meucheln oder am nächsten Baum aufzuknüpfen. Es gibt keine kreuzzüglerisch motivierten Extremisten, die mit Schaum vor dem Maul die Bibel treue Umsetzung erzkatholischer Werte lauthals einfordern oder klammheimlich exekutieren. Ganz im Gegenteil biedern sich die Würdenträger dieser Konfession immer öffentlicher und unerträglicher dem waltenden Zeitgeist an und relativieren so etwa den Gebrauch ihrer Symbole auf taktisch bequeme, also: feiger Art.

Der Kabarettist Werner Finck hat einmal in feinsinniger Betrachtung die von ihm standhaft wider den Nationalsozialismus praktizierte Zivilcourage vom bloßen Mut unterschieden. Kurioserweise bezeichnet dieser Begriff im Ergebnis das glatte Gegenteil dessen, was per Definition darunter verstanden werden soll: als courage civique (staatsbürgerlicher Mut) macht sie eben, meint sie es wirklich ernst, auch und gerade vor diesem Staat nicht mehr halt. Ziviler Ungehorsam kann gar nicht anders, steht er zu seinem Wort: dem eigenen Gewissen. Finck bekam das zu spüren, als man ihn dafür kurzerhand ins KZ warf.

Zivilcourage gleicht einer klaren, zum Äußersten bereiten Geisteshaltung, die aus Gewohnheit den Platz zwischen allen Stühlen einnimmt und jenseits kollektiver Moralvorstellungen immer den Einzelnen berührt und keinen sonst. Das macht ihre Würde aus, das bleibt in wechselnden Zusammenhängen ihr unveränderliches Markenzeichen. Das unterschied etwa einen grimmigen Skeptiker wie den Publizisten Joachim Fest („Ich nicht!“) vom Günter Grass, dem seine SS-Mitgliedschaft mit Jahrzehnten Verspätung nach der Nobelpreisvergabe urplötzlich wieder öffentlich einfallen wollte. Grass war, sehr deutsch, ein unerträglicher Moralist. Einer von denen, die als Gewissen der Nation anderen unentwegt die passenden Stichworte lieferten, in notorischer Akupunktur, bis die ´Patienten´ im verordneten Sinne als geheilt gelten konnten.

Moralisten haben immer Recht. Finck war alles andere als ein Moralist. Er hatte die Folgen derer, die immer Recht behalten, früh erdulden müssen. Moralisten lassen andere deutlich spüren, was es heißt, nicht im Recht zu sein. In Europa machen das die Deutschen derzeit schon wieder sehr gründlich. Unfähig bzw. nicht willens, die Missstände im eigenen Land zu beheben, lesen sie andern dauernd die Leviten. Dass kleine Kinder in türkischen Moscheen Krieg spielen, blieb bislang ohne rechtsstaatliche Konsequenzen, andererseits werden deutsche Publizisten nicht müde, den ungarischen Grenzzaun, mittels dessen illegale Einwanderungen in die EU wirksam unterbunden werden, als Verstoß gegen universelle Menschenrechte zu werten. Sicher: auch das nur Gerede. Die Messlatten moralischer Entrüstung geraten den Deutschen dabei gern etliche Meter zu hoch. Darunter machen sie es nicht. Leicht wird dann übersehen, dass der selektive Zugriff – auch das sehr deutsch – eher im Trüben fischt.

Womit ich den Kreis zur Einleitung, siehe oben, schließen möchte. Auch in der näheren Umgebung findet sich, fahndet man ein wenig im Netz, der Gegensatz zwischen öffentlichem Interesse und öffentlicher Wahrnehmung auf fast beschämende Art und Weise. In meiner Lokalzeitung wurde und wird sehr viel Wert darauf gelegt, bei jedem sich bietenden Anlass, vom offenen Tag an der Kita bis zum verordneten und selbstverständlich kostenlosen Sprachkurs, bestimmte Zuwanderermilieus ins rechte Licht, vor allem deren Angehörige auf schönen Photos deutlich nach ganz vorne zu rücken. Aber seltsam: dieselbe Zeitung, hier immer sehr gründlich, schwieg sich online bis vor wenige Stunden zu einem Vorgang doof und dämlich, der in unmittelbarer Nähe zu ihrer eigenen Redaktion stattfand und mittlerweile auch von wenigen überregionalen Blättern aufgegriffen wurde:

http://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/22126640_Tuerkische-Hochzeitsgesellschaft-Braeutigam-schiesst-aus-fahrendem-Auto.html

In der Printausgabe der NW erschien der Bericht nun auch, aber recht verschämt am Rande und ohne Bild. Im Zentrum der ersten Seite des Lokalteils dominierte stattdessen ein farbig gestalteter Artikel über Gewässerschutz und einer über das anstehende Bürgerfest („Drei Tage lang gucken, hüpfen, staunen und schlemmen“)

Das fidele Hochzeitsfest konnte da wohl nicht mithalten. Es durfte nicht. Was den Verlauf der anschließenden Auseinandersetzung zwischen Clanmitgliedern und Polente betrifft, so passte der einmal mehr ins übliche Bild, das aber geriet insgesamt wohl noch immer zu klein für die auf ARD täglich ausgerichtete Lokalzeit OWL, deren Macher Bilder förmlich blähen, geht es um gelungene Integrationen sorgsam ausgesuchter Einzelpersonen. Zu diesem Fall schwieg man sich hier bisher brav aus. Das marktführende Medienkonsortium wird sich wohl, das lehrt die Erfahrung, auch über die möglichen Strafmaße – Sozialstunden, Bußgelder und Bewährungsauflagen – vornehm ausschweigen. Vielleicht schaffen es clevere Anwälte, die Lappalie so lange zu verschleppen, bis ein Teil der Delikte als verjährt gelten darf.

Es hieße, Ereignisverläufe wie diese kleinzureden, bezöge man sie nur auf Pressepropaganda oder Politgebrabbel. Sie machen vor Ämtern und Behörden leider nicht halt. Wem folgendes abschließendes Beispiel zu knickrig oder provinziell vorkommen möchte, der hat in Wahrheit nicht begriffen, dass schon im Kleinen anfängt was im Großen kein Ende mehr findet.

Seit Jahren ist bekannt, dass Quad-Fahrer Wälder und Wiesen mit viel Lärm und noch mehr Karacho heimsuchen, und wenn sie damit ansässige Tierbestände vertreiben und Fußgänger gefährden, bleibt ihr ´Treiben´ doch am Ende völlig folgenlos, weil erstens keiner den Mumm hat, dagegen aufzubegehren und zweitens wichtiger, kein Amt qua Vollzug wirksam dagegen vorzugehen bereit oder imstande ist. Ich habe mich in einem solchen ´Fall´ an sämtliche zuständige Stellen, von der Polizei über das Ordnungsamt bis hin zum Forstamt gewendet – zwecklos. Besagte Person wütet munter weiter. De jure und de facto müsste ich mich dem Protzpanzer direkt in den Weg stellen, um ihn und seinen Fahrer ´deutlich erkennbar´ abzufotografieren, damit ´die Beweislage eindeutig ist´. Cooles Amtsdeutsch. Zusammen mit den drei Affen (bloß nichts sehen, hören, sagen – bringt nur Ärger) ist dieser Zwang zur ´Frontbewährung´ symptomatisch für eine Gesellschaft, die unentwegt schwätzt und schwadroniert, jenseits der Hege und Pflege ihrer Konsum vergessenen Leere aber nichts zu bieten hat als ein feiges ´Weiter so´. Mach doch selber, Depp – was geht uns das an? Wenn schon der zivile Ungehorsam, über welchen in keinem Land so viel geredet oder geschrieben worden ist wie in Deutschland, ein Auslaufmodell ist, dann gibt es auch keine weitere Nation, in der trotz solider rechtsstaatlicher Strukturen der zivil-rechtliche Selbstbehauptungswille zuständiger Behörden in der Auseinandersetzung mit ihren wahren Gegnern und Feinden so kläglich an Behäbigkeit und Ignoranz scheitert wie hier. Weder Korruption noch staatliche Willkür können da die begleitende Anämie erklären oder entschuldigen.

Es bleibt ein leichtes, über rechtsruckelnde Polen oder Ungarn, über korrupte Kroaten oder faule Griechen abzulästern. Da fallen Kleinigkeiten wie diese, wiewohl gehäuft, nicht weiter ins Gewicht. Wenn bei der nächsten türkischen Hochzeit zufällig eine verirrte Kugel in irgendeinen Primatenschädel flitzt oder der chromveredelte Quad in die wandernde Seniorengruppe rast, dann werden Traumatherapeuten und Sozialpädagogen Opfern wie Tätern, Gott und der Welt beweisen, dass es jenseits lästiger Konsequenzen dauernd Mittel und Wege gibt, tatsächlich so weiter zu machen wie bisher.

Wir schaffen das. –

Shanto Trdic, 01.05.18

 

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Eine Antwort zu Recht und Ordnung

  1. scheylock schreibt:

    Werner Finck ist einer der letzten nicht-jüdischen Kabarettisten, die ihre Witze noch nach 1933 machen. Auf offener Szene betrachtet er ein an der Wand lehnendes Hitler-Porträt, hebt es hoch, hält es gegen die Wand und fragt ins Publikum: : „Stellen wir ihn an die Wand, oder hängen wir ihn auf?“

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