Das Drama der Christen im ehemaligen Irak

Vor wenigen Tagen traf sich SPD-Chef Sigmar Gabriel mit hochrangigen Vertretern der Jesidischen Gemeinde in Deutschland. Diese versicherten ihm glaubhaft, das die vor den Häschern der IS flüchtenden Angehörigen ihrer Konfession aufs äußerste gefährdet sind und unsägliche Qualen zu erleiden haben. Es ist, leider, immer dasselbe Elend: Hunger, Hitze – Krankheiten. So lichten sich die Reihen. Der Tod greift unbekümmert zu.

Es war gut, dass Gabriel mit diesen Menschen sprach. Es ist und bleibt beschämend, das weder er noch die Angehörigen der sogenannten christlich-konservativen Parteien es für nötig hielten, die gleichsam unerbittlichen Verfolgungen ausgesetzten Anhänger ihres eigenen Glaubens auch nur zu erwähnen. Der Papst freute sich just über den Pokalsieg von San Lorenzo und weilt derzeit in Südkorea. Je mehr sich das Drama seiner ´Schutzbefohlenen´ in Mesopotamien zuspitzt, umso weniger fällt diesem Sachverwalter des Sakralen dazu noch ein. Es bleibt ohnehin merkwürdig, dass dieser Aspekt auch weiterhin von den Medien entweder wohlfeil unterschlagen oder nur peinlich am Rande erwähnt wird. Merkwürdig oder nicht: im mehrheitlich von Christen bevölkerten Europa demonstriert keiner der hier ansässigen Christen für die im Irak bedrohten Christen.

Im mehrheitlich von Kurden kontrollierten nördlichen Irak hat man vielen der schon vor Jahren aus ihrer Heimat vertriebenen Christen immerhin so etwas wie eine zweite Heimat gewährt. Dort schälte sich, dank massiver militärischer Schützenhilfe der USA, eine quasi-staatliche Autonomie für die Kurden heraus, die von der benachbarten Türkei auch weiterhin mit verhaltenem Groll zur Kenntnis genommen wird. Es gibt in dieser Region mittlerweile Städte, in denen sich die Zahl der Christen innerhalb von drei Jahren nahezu verdoppelte. Offenbar kommen Kurden und Christen gut miteinander aus: von Ausschreitungen und Pogromen war nie die Rede. Ferner weiß man, dass die Peschmerga-Milizen für den Schutz eintreffender christlicher Flüchtlinge verantwortlich zeichnen. Und diese fühlen sich in deren Obhut sicher.

Aber was im Norden des Irak im Schatten eines irrwitzigen Glaubensfeldzuges gelingt, das funktionierte auch schon im Schatten einer bleiernen Diktatur, die südlich dieser verlässlich geschirmten Sicherheitszone, nämlich vom heute heiß umkämpften Bagdad aus, alle Fäden zog. Unter dem Regime Saddam Husseins stand einer Pflege eigener Riten und Gebräuche nichts im Weg. Ganz im Gegenteil hat der Staat seinerzeit mittels großzügiger finanzieller Unterstützung den Ausbau und die Sanierung sakraler Stätten alimentiert und auch den einen oder anderen Neubau bezuschusst. Dazu Konferenzen und Versammlungen mit Glaubensbrüdern und Schwestern aus aller Welt ermöglicht. Und schon seit den frühen Siebziger Jahren wurde die assyrische Sprache gefördert. Erinnert: Das NATO-Mitglied Türkei tat sich unendlich schwer, dem Kurdischen auch nur den Rang einer eigenen Sprache anzuerkennen. Der regierenden Baath-Partei gehörten übrigens auch christliche Minister an, dessen prominentestes Mitglied der Chaldäer Tariq Aziz war; der zweite Mann im Land.

Wer hört das schon gerne. Jedenfalls stellten die Christen im Kernland des früheren Mesopotamien seit dem ersten Jahrhundert eigener Zeitrechnung einen zunehmende Anteil der Gesamtbevölkerung, der dann im 7. Jahrhundert, da die islamischen Eroberer in dieses Gebiet vordrangen, rasch unter die Hälfte fiel. Der Schwund setzte sich im Zuge der osmanischen Besatzung fort. Danach stieg er zeitweilig wieder an. In den 1980er-Jahren machten die Christen verschiedener Glaubensrichtungen noch etwa 15 % aus, bevor der Anteil auf zwei bis drei Prozent der Gesamtbevölkerung (ca. 29–31 Millionen) herunter fiel. Der Rest ist bekannt. Jetzt flüchtet der Rest vom Rest. Außer Landes. Obama lässt (ein bisschen) bomben, Deutschland denkt über weitere Hilfslieferungen nach und keiner nennt das Kind beim Namen: bald wird es keine Christen mehr in diesem Land geben. Ob nicht wenigstens der Umstand, dass die überlebenden Christen im freien Kurdistan selbst volle Freizügigkeit genießen, für ein wenig Hoffnung Anlass bietet? Im Sinne eines echten, auf gegenseitiges Vertrauen und Respekt fußenden Miteinanders? Das wird die Zukunft zeigen.

Noch ein ganz persönliches Wort zum Schluss. Mitunter wundert es mich selbst, dass ausgerechnet ich immer wieder auf den Niedergang des angestammten Glaubens zu sprechen komme. Schließlich trat ich schon vor Jahren aus der Kirche aus und für besonders fromm halte ich mich schon gar nicht. Mich haben die evangelischen Gottesdienste bereits in meiner Kindheit entsetzlich gelangweilt. Das Gros der sakralen Elite, gleich wo auf der Welt vertreten, war und ist mir gleichsam aufrichtig zuwider. Das hinderte mich dennoch nicht, gegen den Widerstand einer mit viel Multikulti bewaffneten Meinungsführerschaft, einen christlichen Gottesdienst an unserer – mehrheitlich von Muslimen besuchten – Schule durchzusetzen, den ich eben nicht als Ausgrenzung verstand: Wer den Glauben der andern ernst nimmt, sollte den eigenen nicht ängstlich verstecken. Wahrscheinlich gilt für uns vermeintlich ´Ungläubige´ eben das Gegenteil von dem, was ein selbstherrlicher Rechtgläubiger für gewiss hält: wir haben einen viel tieferen, stärkeren Glauben nötig, angesichts der ständigen Zweifel, die wir hegen, weil wir eben fast alles dauernd in Frage stellen. Aber nur so kommt man zu neuen Antworten. Und neuen Fragen, allerdings. Stellt sich abschließend noch die Frage, um wie viel stärker der Glaube der vom Irrglauben Verfolgten im zerfallenden Irak sein muss, um mit den Miseren fertig zu werden, die diesen Menschen noch bevorstehen.

Shanto Trdic, 15.08.14

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5 Antworten zu Das Drama der Christen im ehemaligen Irak

  1. caruso schreibt:

    Ich bin eine gottlose Jüdin, das Christentum ist mir wurscht. Aber nicht die christlichen Menschen die verfolgt werden, nicht die Jesiden und andere die wegen ihrer Religion auch verfolgt werden. So wie es mir egal ist, ob jemand eine lilafarbene Haut hat oder eine grün-weiß-gestreifte, so ist es mir egal, was, woran jemand glaubt – solange er „mich“ damit in Ruhe läßt und „mir“ aufgrund seines – verstandenen oder nicht-verstandenen – Glaubens nicht schadet. Was mich interessiert ist allein, wie einer sich zum Mitmenschen verhält. Und mich, alte Frau, empört aus tiefster Seele die Gleichgültigkeit der Politik und der div. Kirchen den Verfolgten gegenüber. Was man machen kann oder könnte, weiß ich natürlich nicht, aber das Morden, das Aushungern, das Foltern, Vergewaltigen usw. zuzulassen… ist einfach unmenschlich. Bei den Verfolgten geht es ja um Menschen!!!
    lg
    caruso

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    • anti3anti schreibt:

      Am schlimmsten sind die moderaten offiziellen Muslime, die ihren Antisemitismus mit aller Kraft zu vertuschen suchen. Sie hassen nicht nur Juden, sondern alle schwachen Minoritäten, die sie als unnütze Fresser betrachten.
      Hamas, IS und pax Christi sind Beispiele der religiösen Bösartigkeit. Ohne Juden gäbe es kein Christentum und keinen Islam!

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  2. schum74 schreibt:

    Die offensichtliche Gleichgültigkeit der nominellen wie kirchentreuen Christen für das Leiden der orientalischen Christen ist sicher politisch willkommen. Davon profitieren die Muslime, deren Unduldsamkeit man weder hier noch dort radikal, also wurzelhaft, kritisieren darf.
    Gleichwohl bleibt sie erklärungsbedürftig. Gleichgültigkeit lässt sich nicht verordnen. Sie ist echt.

    Anders als im Irak spricht man hierzulande zwar nicht von „Christenhunden“, aber mit Hunden hat man mehr Mitleid.

    Liegt es daran, dass die Aufklärung das Christentum diskreditiert hat? Liegt es am Verrat der Kirchen im dritten Reich? Aber zu Papstbesuchen nach Deutschland finden sich Hunterttausende ein, die sich nicht schämen, ihren Glauben zu demonstrieren.
    Was ist es also?

    Der Papst weilt derzeit in Südkorea, sagen Sie? Eine Gelegenheit für ihn, das Los der Christen in Nordkorea anzusprechen. Wer weiß? Vielleicht interessieren ihn die 50.000 Leute, die um desselben Glaubens willen im Gulag mißhandelt werden mehr als die gehetzten Christen im Irak.
    Den nordkoreanischen Christen ist es zu wünschen.

    Hier die jüngste Mitteilung von Open Dors:

    „Mit insgesamt 90 Punkten hat Nordkorea auf dem Weltverfolgungsindex 2014 den unrühmlichen ersten Platz inne, bereits das 12. Jahr in Folge. Man kann mit Sicherheit sagen, dass sich für die christliche Minderheit im Land seit Kim Jong Uns Machtübernahme nichts zum Besseren verändert hat.“
    https://www.opendoors.de/verfolgung/laenderprofile/nordkorea/

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  3. schum74 schreibt:

    Eben entdeckt:

    Vatican, 10.08.2014 / Agence I.Media

    Alors que le Vatican se caractérise d’ordinaire pour un refus de tout recours à la force armée dans la résolution de conflits, Mgr Silvano Tomasi, observateur permanent du Saint-Siège auprès des Nations unies, a estimé le 9 août 2014 qu’une intervention militaire pouvait être „nécessaire“ pour arrêter l’avancée des djihadistes en Irak.

    Alors que les miliciens de l’Etat islamique ont conquis plusieurs villes du pays, forçant des centaines de milliers de personnes à l’exil, dont de très nombreux chrétiens, le diplomate vatican a dénoncé „l’indifférence occidentale“.

    [Während der Vatikan sich üblicherweise durch die Ablehnung jeglicher Gewalt in der Lösung von Konflikten auszeichnet, hat der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls in der UNO, Monsignore Silvano Tomasi, am 9. August 2014 erklärt, dass eine militärische Intervention „notwendig“ sein könnte, um den Vormarsch der Dschihadisten im Irak aufzuhalten.]

    http://lesuisseromain.hautetfort.com/archive/2014/week32/index.html

    Frage: Wer ist nun christlicher? Monsignore Silvano Tomasi, der die Soldaten des Propheten töten lassen will, oder Bischöfin Käßmann, die mit ihnen zusammen beten will?

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    • caruso schreibt:

      Was christlicher ist kann ich nicht entscheiden, es ist auch nicht meine Aufgabe. Aber ich finde die Einstellung von Silvano Tomasi sehr richtig. Die Einstellung von Margit Käßman hingegen finde ich ganz falsch, an der Realität vorbei.
      lg
      caruso

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