Zeitgeist-Diktate

Multinationale Konzerne sind in der Verfolgung profitmaximierender Interessen normalerweise nicht sehr zimperlich. Fein säuberlich, ja peinlich korrekt geben sie sich aber in den engen Grenzen einer Political Correctness, die ihren Siegeszug bekanntlich in den Vereinigten Staaten antrat und deren Vollstrecker seither, bewaffnet mit den entsprechenden Parolen, das weite Rund der Erde abmarschieren: allen voran in der bundesdeutschen Provinz, wo die entsprechenden Paraden gar kein Ende mehr nehmen. Passende Anlässe vorausgesetzt, begleiten im ´Land der Täter´ moraltriefende Fahneneide die von den Eliten verordneten Belehrungs-Spektakel.

Dem schließt sich jetzt ein echter Global Player an. Der US-Streaming-Dienst HBO Max, erst Ende Mai diesen Jahres gegründet, hat die Zeichen der Zeit sofort erkannt und nutzt den derzeit grassierenden Tugendterror, um passend zum Firmenstart auf sich aufmerksam zu machen. Mit Hinweis auf die anhaltenden Anti-Rassismus-Proteste entfernt der Dienst den Film-Klassiker “Vom Winde verweht“ kurzerhand aus seinem Programm. Der Streifen zeige, so ein Sprecher, ethnische und rassistische Vorurteile. Die Darstellung zufriedener Sklaven und heldenhafter Sklavenhalter sei schon damals falsch gewesen. Unverantwortlich wäre es folglich, den Titel ohne eine Erklärung und Anprangerung im Programm zu halten. Soll heißen: Auch auf diesen Kassenschlager wird man nicht auf Dauer verzichten, er kommt demnächst wohl mit einem digitalen Begleitkommentar zurück ins Sortiment, damit steigert man das Interesse erneut, eine bessere Werbung gibt es gar nicht, und nach einer Weile kratzt das auch keinen mehr.

Hinter HBO Max steht die Warner Media Gruppe. Ein Konzern, der Milliarden pro Jahr umsetzt und dessen Macher nichts entscheiden, was dem Unternehmen auch nur im Ansatz schaden könnte. Da dürfen durchaus mit Vorsatz heilige Kühe geschlachtet werden. Die resultierenden Schinkenreste wird man als Angebote von der Stange dem Mob zum Fraß vorwerfen. Der frisst eh alles. In einer Zeit, wo im Internet nahezu jede nur vorstellbare oder erdenkliche Widerwärtigkeit ohne schlechtes Gewissen abgerufen werden kann, wächst gleichzeitig der Zwang zur Konformität ins Unermessliche. Eine falsche Geste, ein falsches Wort: kann man dir heute gnaden- und grenzenlos um die eigenen Ohren bügeln. Die totale, bis ins Absurde entfesselte Freizügigkeit unserer Tage kontrastiert auffallend zu den immer umständlicheren Sprachregelungen und Verhaltensnormierungen gendervergessener Totalmoralisten, die den Generalverdacht als Rundumschelte nahezu inflationär bemühen und bei Bedarf gern über Leichen gehen. Die vorläufige Beerdigung eines unsterblichen Filmklassikers zeigt einmal mehr an, wie weit es schon wieder gekommen ist. Von denen, die den auf Zelluloid gebannten ´Rassismus´ seinerzeit zu verantworten hatten, indem sie auf diese oder jene Weise am Film mitgearbeitet haben, lebt meines Wissens nur noch die hundertunddreijährige Olivia de Havilland. Man täte gut daran, die Dame in Ruhe zu lassen.

Wer heute Kritik übt an der allzu selbstverständlich gewordenen Praktik maßloser Bezichtigung, die in reine Zensur mündet, hat immer die schlechteren Karten. Automatisch macht er sich zum ´Verdächtigen´, der dementsprechend, wie vor Gericht, sofort unter Rechtfertigungsdruck gerät, während die ´Gegenseite´ das Recht schon automatisch auf ihrer Seite hat – sie bleiben Staatsanwalt und Richter in Personalunion. Was sind die derzeitigen ´Rassen-Unruhen´ denn anderes als eine gigantische, maßlos aufgeblähte Hype? Wer mitmacht ist auf der richtigen Seite. Ihn fragt keiner mehr nach den Folgen irgendwelcher Plünderungen, die munter weiterlaufen und dennoch kaum erwähnt werden, das alles entschuldigt sich ja fast von selbst. Umgekehrt wird jede Kleinigkeit sofort registriert und entsprechend geahndet. Das bei den umjubelten ´Protesten´ jüngst eine Kolumbus-Statue geköpft wurde und deren weitere Denkmäler dem ´Zorn der Gerechtigkeit´ zum Opfer fielen, nahm Nancy Pelosi, führende US-Demokratin im Repräsentantenhaus, umgehend zum Anlass, die Entfernung von wenigstens elf weiteren Statuen im Capitol zu fordern. Die bundesdeutschen Medien haben das sofort aufgegriffen und entsprechend ´eingeordnet´: Demnach käme in den feierlichen Monumenten einmal mehr der unausrottbare Rassenhass weißer Menschen zum Ausdruck. Solcherlei Reaktionen sagen auf Anhieb mehr über diese Leute selbst aus als über all jene, denen ihr boshafter Eifer gilt. Der Hang, das Gewesene mit den eigenen, unhinterfragt richtigen Maßstäben zu messen endet verlässlich im Faschismus, der vorgibt, selbigen zu bekämpfen. Selbstverständlich müssen Verfehlungen der Vergangenheit thematisiert werden, aber man soll auch die begleitenden Zusammenhänge kennen und im Zuge rachsüchtiger Aufarbeitungen nicht alles über eine Kamm scheren. Die Generäle und Senatoren, denen hier posthum der Prozess gemacht wird, indem man ihren Überlebensgroßen Abbildern sachschädigend zusetzt oder deren umgehende Entfernung fordert, waren doch vor allem eines: Menschen, Kinder ihrer Zeit. Deren Irrungen und Wirrungen nachträglich allzu billig behauptet und verallgemeinert werden. Auch unsere Helden fehlen. Auch darüber wird eine spätere Zeit selbstherrlich richten. Denn ersichtlich wird nur belichtet, was in den eigenen Fokus zu gehören hat – alles andere darf bequem ausgeblendet werden. Auf diese Art feiern die Multikulti-Kapos heute ihre eigenen Unzulänglichkeiten, entlang dekretierter Reinheitsgebote, deren Umsetzung am passenden Objekt, nicht grundsätzlich vollstreckt wird.

Die Aushegung eines im ganzen großartigen, im einzelnen gewiss zwiespältigen Streifens, der vollkommen zu Recht ein Meisterwerk genannt wird und als Klassiker der Filmgeschichte nahezu glanzvoll die Jahrzehnte überstrahlte, bedeutet im Ergebnis: die Entmündigung des Konsumenten. Der revanchiert sich bereits: In den Amazon-Verkaufscharts ist das Südstaaten Epos soeben – also: schon wieder! – zum Bestseller avanciert. Ob die alle Rassisten sind? Dank digitaler Rundumversiegelung dürften ihre Identitäten längst ermittelt worden sein.

Shanto Trdic, 11.06.2020

Erschienen unter

https://www.tabularasamagazin.de/zeitgeist-diktate-zwang-zur-konformitaet-und-reine-zensur/

Dieser Beitrag wurde unter Trdic abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Zeitgeist-Diktate

  1. Hein schreibt:

    Hat dies auf umermuedlich rebloggt und kommentierte:
    Und wieder lesen diese Gedanken diejenigen, die es eh wissen! Trotzdem sind solche Artikel notwendig. Man ist nicht allein!

    Gefällt 1 Person

Kommentare sind geschlossen.